Lügen, Angst, Sensation - So funktionieren Internet-Gerüchte
Berlin (dpa/tmn) - Männer in Lieferwagen entführen Katzen, ein Prominenter ist angeblich tot, Flüchtlinge essen Schwäne vom Dorfteich. Jeder Nutzer von sozialen Netzwerken wie Facebook oder Messengern wie Whatsapp kennt diese Geschichten.
Meistens sind sie frei erfunden oder stark verfälscht.
Das Flüchtlingsthema mag neu sein - Netzmythen gibt es aber seit Jahren. Schon die Entstehung des Internets ist Gegenstand von Gerüchten. Immer wieder wird verbreitet, das US-Militär habe es erfunden. Richtig ist, dass der Vorläufer des Internets, das „Advanced Research Projects Agency Network“ (ARPANET), vom US-Verteidigungsministerium finanziert wurde. Der angebliche Vater des Internets, Tim Berners-Lee, schuf in Wirklichkeit die Technik, auf der das heutige World Wide Web mit seinen Webseiten fußt.
Neben solchen Halbwahrheiten geistern Kettenbriefe, falsche Sensationsmeldungen und Angstmache durch das Netz. „Das Grundthema ist immer gleich“, sagt Frank Ziehmann von der Technischen Universität Berlin. Er betreibt eine Webseite, auf der er Informationen zu digitalen Mythen und Falschmeldungen sammelt. Ziel der Verbreiter: möglichst viel Publikum.
Drogen auf Visitenkarten oder Meldungen über Lkw oder Transporter, in denen Katzen, Hunde oder Kinder verschwinden, tauchen immer wieder auf. Ähnlich wie bei Falschmeldungen über Flüchtlinge werden Ängste bedient. „Unbestätigte Behauptungen haben das Potential, in den Kommunikationskreislauf zu kommen, wenn sie latent vorhandene Befürchtungen bestätigen“, sagt der Rechtsanwalt und Buchautor Michael Scheele. „Das Gerücht wird als wahr registriert, weil man an das Gerücht glauben will.“
Ein weiteres Mittel zur massenhaften Verbreitung solcher Hoax (Hoax: Englisch für Scherz, Schwindel) genannten Lügenbotschaften ist die Tränendrüse: Anrührende Geschichten von Krebskranken oder anderen Bedürftigen oder Warnungen vor schlimmen Computerviren machen die Runde, mit der dringenden Bitte zur Weiterleitung. „Das ist das Indiz, wo die Alarmglocken schrillen sollten“, betont Ziehmann. Einmal an die Freunde weitergeschickt, leiten die es an ihre Freunde weiter. Schlimmstenfalls wird so eine digitale Lawine losgeklickt.
„Wie soll derjenige, der das verbreitet, das jemals wieder stoppen können?“, fragt Stephan Dirks. Der Rechtsanwalt sammelt auf seiner Internetseite Hoaxbusters.de kuriose Lügengeschichten und rät dazu, genau hinzusehen. Und zwar vor dem Klick auf „Gefällt mir“ oder „Teilen“. „Wenn Sie den allgemeinen Hoax nehmen, ist charakteristisch, dass immer die Angaben fehlen, die helfen könnten, die Meldung zu überprüfen“, beobachtet er. „Wenn man einen Augenblick über die Dinge nachdenkt, die da behauptet werden, muss einem auffallen: Das kann gar nicht sein“, ergänzt Ziehmann. Das könne man dann auch einfach mit ein paar Klicks in der Suchmaschine überprüfen.
Manchmal ist es wohl auch einfach der Herdentrieb, der falsche Inhalte um sich greifen lässt. „Das Problem ist, dass man sowas ja von Leuten bekommt, die man kennt“, sagt Ziehmann. So etwa bei den Widerspruchserklärungen, die Nutzer immer besonders dann auf ihren Profilen veröffentlichen, wenn Facebook neue Datenschutzrichtlinien oder Geschäftsbedingungen einführt. Nach dem Motto: Wenn die Freunde das machen, kann es ja nicht falsch sein. „Es sollte inzwischen klar sein, dass man mit der bloßen Nutzung von Facebook die Regeln annimmt“, sagt Ziehmann.
Und was tun, wenn Freunde im Netz Unsinn verbreiten? „Ich selbst sage schon: Das ist Unsinn, und poste einen entsprechenden Link darunter“, sagt Dirks. Scheele betont bei Angstgerüchten oder Verleumdung die emotionale Komponente: „Ziel muss es sein, das Gerücht als gesellschaftlich unannehmbar zu entlarven.“ Der Schlüssel liege insgesamt aber in der Medienkompetenz, befindet Dirks: Nur wenn Internetnutzer lernen, wie man angemessen mit Online-Inhalten umgeht, hätten Falschmeldungen von Anfang an keine Chance.