Schöner Scheitern in Berlin
Berlin (dpa) - Sie landete bei Google unter den Shitstorm-Opfern weit oben. Julia Schramm hatte es mit Mitte 20 in den Bundesvorstand der Piratenpartei geschafft. Und sie ging richtig baden.
Bei der „Fuck Up Night“ in Berlin erzählt die 29-Jährige von ihrer Zeit bei den Piraten, als sie auf einmal „Spitzenpolitikerin“ war und ihr der Rummel über den Kopf wuchs. Nach dem Rücktritt: „ein halbes Jahr gar nichts außer Baldrian-Zigaretten“. Das Publikum im rappelvollen Saal ist angetan. In Schönheit scheitern und dazu stehen, das macht sympathisch.
Die Idee entstand 2012 in Mexiko im Umfeld der Startup-Szene. Bei jungen Internetunternehmern sind zündende Ideen, die zu krachenden Flops werden, häufig. Man lerne mehr aus den Niederlagen als aus den Erfolgen, heißt es auf der Homepage von „Fuck Up“ (etwa: Mist bauen, etwas versemmeln). Demnach gibt es mittlerweile in 25 Ländern solche Abende, bei denen die Leute auf der Bühne ihre Debakel schildern.
Die Botschaft: berufliche Niederlagen nicht mehr als persönliches Scheitern empfinden, es geht weiter. „Was ist denn eigentlich das Problem, wenn man eine Firma in den Sand setzt?“, fragt einer der Berliner Veranstalter, Patrick Wagner (44). Bei ihm waren es gleich zwei, darunter ein Plattenlabel. Er hat bei einer „Fuck Up Night“ in Düsseldorf davon erzählt. „Für mich war es befreiend.“ In Berlin soll es die Pleiten-Abende nun monatlich geben.
Im „Rainmaking Loft“ in Kreuzberg, zwischen Café und Startup-Büro, laufen am Donnerstagabend zur Einstimmung Videos mit Unfällen und Pannen. Der Erste auf der Bühne ist der Schokoladen-Spezialist Holger In't Veld. Der redet sich sehr unterhaltsam in Rage, aber bleibt etwas wolkig, was den Ablauf seiner Flops angeht. Als jemand aus dem Publikum wissen will, was er denn damals in die Steuererklärungen geschrieben habe, sagt In't Veld: „Alter, was fragst du denn!“ Gelächter.
Danach kommt Mo Drescher, ein ruhigerer Typ mit Trend-Vollbart. Er hat eine steile Karriere als Werber hinter sich. Dann hat er sich mit seinen Partnern mit einer eigenen Agentur verhoben. Beispiel: Die Büroräume sollten aussehen wie in der Serie „Mad Men“, eine teure Sache. „Wir waren die nächste Werbeagentur, die die Welt nicht brauchte.“ Nach dem „Mega-Crash“ erlebte er „Schadenfreude, unendliche Trauer, gähnende Leere“. Niemand rief an. Drescher war froh, eine starke Familie zu haben.
Julia Schramm schickt vor ihrem Vortrag noch ein Selfie via Twitter raus. Dann berichtet sie, wie das damals war, als sie mit ihrem eigenen Buch in der Urheberrechtsdebatte zur „Gier-Piratin“ abgestempelt wurde. Wie sich die Presse damals für ihre vielen Tweets oder plötzlich für ihr früheres Praktikum bei der FDP interessierte. „Es lief, es lief halt nur scheiße“, bilanziert sie. Sie habe die Größenverhältnisse nicht einschätzen können. „Ich bin an Zielen gescheitert, die ich mir nie gesetzt habe.“
Einer von vielen geschliffenen Sätzen bei der „Fuck Up Night“. Bei den Vorträgen ist auch eine Portion Selbstdarstellung im Spiel. Das Gefühl der Sympathie überwiegt. Es gehört Mut dazu, sich auf der Bühne so zu offenbaren. Das spüren die Zuschauer.
Die drei Geschichten haben alle ein Happy End. Holger In't Veld will einen neuen Laden eröffnen. Mo Drescher ist jetzt Berater für Nachhaltigkeit. Julia Schramm schreibt für den „Merkel-Blog“ und arbeitet für die Amadeu Antonio Stiftung. „Ich werde dafür bezahlt, Nazis zu bekämpfen, und das ist ist ziemlich cool.“ Nach ihrem Auftritt wirkt sie gelöst. „Ich muss erstmal eine rauchen.“