Staaten verhandeln übers Internet: „Die ganze Welt hört uns zu“
Die Internationale Fernmeldeunion (ITU) verhandelt über eine Neufassung ihres Regelwerks. Erstmals soll auch das Internet davon erfasst werden. Kritiker sorgen sich um die Informationsfreiheit. Der ITU-Generaldirektor versucht unterdessen, die Wogen zu glätten.
Dubai/Berlin (dpa) - Die internationale Staatengemeinschaft hat am Montag Verhandlungen über neue Regeln zur Telekommunikation aufgenommen, die erstmals auch das Internet umfassen sollen.
Mehrere Staaten unter den 193 Mitgliedern der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) wollen feste Regeln für das Netz aufstellen, das sich bislang vor allem nach technischen Vorgaben weitgehend selbst organisiert hat. Dies stößt auf den Widerstand westlicher Staaten, die sich für eine Beibehaltung der offenen, dezentralen und nichtstaatlichen Struktur des globalen Computernetzes einsetzen.
„Die ganze Welt hört uns zu“, sagte ITU-Generaldirektor Hamadoun Touré zu Beginn der Konferenz und wies damit einen iranischen Delegierten zurecht, der einen Einwand gegen die Tagesordnung vorgebracht hatte. In seiner Eröffnungsansprache zeigte sich Touré bemüht, der massiven Kritik an der Weltkonferenz für die internationale Telekommunikation (WCIT) entgegenzuwirken: „Es geht der WCIT nicht darum, das Internet zu übernehmen. Und es geht der WCIT nicht um eine Internet-Regulierung. Es geht darum sicherzustellen, dass wir die 4,5 Milliarden Menschen mit dem Internet verbinden, die immer noch offline sind.“
Der ITU-Generaldirektor sprach sich für den sogenannten Multi-Stakeholder-Ansatz aus, bei dem eine Einbeziehung aller beteiligten Parteien angestrebt wird, unter ihnen auch die Internet-Nutzer. Die ITU habe nicht die Absicht, eine Rolle bei zentralen Internet-Aufgaben zu übernehmen wie die Regelung von Internet-Adressen. Die ITU stelle hier nicht die Kompetenz der nichtstaatlichen Internet-Verwaltungsorganisation ICANN in Frage.
Das Plenum begann am Nachmittag mit der Vorstellung der ersten Vorschläge zur Änderung der Internationalen Telekommunikationsregulierungen (ITR) aus dem Jahr 1988. Mehrere Redner wiesen dabei auf die enormen Veränderungen seit diesem Jahr hin, „wie sie in der technologischen Entwicklung und der Liberalisierung der weltweiten Märkte klar zum Ausdruck kommen“. Ein algerischer Delegierter sagte, diese radikalen Veränderungen müssten auch ihren Niederschlag im ITR-Regelwerk finden. „Ansonsten müssen wir uns fragen, was die Rolle dieser Konferenz sein soll.“
In einem russischen Entwurf heißt es: „Die Mitgliedsstaaten sollen gleiche Rechte haben, das Internet zu managen.“ Außerdem wird auch davon geredet, „das nationale Internet-Segment zu regulieren“. Dies wäre ein Frontalangriff auf das globale Computernetz in seiner bisherigen Form. Aber schon jetzt filtern einzelne Staaten wie China regelmäßig unliebsame Internet-Inhalte aus.
Ein freies Internet sei in diesen Ländern schlicht nicht vorhanden, erklärte Malte Spitz vom Bundesvorstand der Grünen. Seine Partei sei „sehr skeptisch“, ob die ITU und ihre Mitgliedsstaaten das richtige Forum für die Gestaltung des digitalen Wandels seien. „Das Ziel von Ländern wie Russland oder Saudi-Arabien, stärkeren staatlichen Einfluss über eine Änderung der Internationalen Telekommunikationsregulierung (ITR) durchzusetzen, lässt zumindest Schlimmes vermuten.“
Die russische Delegation erklärte am Montag, die von ihr vorgeschlagenen ITR-Ergänzungen beruhten auf einem Verständnis des Internets als „einer neuen globalen Informationsinfrastruktur und auch als Teil der nationalen Kommunikationsinfrastruktur eines jeden einzelnen Mitgliedsstaats“.
Die Vereinigung europäischer Netzbetreiber (ETNO) hat vorgeschlagen, dass künftig Firmen mit großen Datenmengen im Internet wie Skype oder Google Gebühren für die Nutzung des Datennetzes zahlen sollen. Dieser Vorstoß unter dem Schlagwort „Sender pay“ (Absender zahlen) stößt bei Netzaktivisten auf entschiedene Kritik, die eine Einschränkung der Informationsfreiheit befürchten.
Neben den Beratungen im Plenum widmen sich Arbeitsgruppen einzelnen Teilen des Regelwerks. Die Konferenz der UN-Organisation ist bis zum 14. Dezember angesetzt, Ergebnisse müssen im Konsens erzielt werden.