Start-up-Land Israel: Große Ideen auf Kapitalsuche

Tel Aviv (dpa) - Vor dem Peres-Friedenszentrum in Tel Aviv steht die Frühlingssonne über dem Mittelmeer, drinnen tritt ein hoffnungsvoller Unternehmer nach dem anderen auf die Bühne vor potenziellen Investoren.

Die Gründer wollen den Kaffeekauf vereinfachen oder ortsgebundene Werbung auf Handys perfektionieren, dafür brauchen sie mal eine Million Dollar, mal nur 500 000. Sie sind meist männlich, tragen fast alle Sakko und Jeans und wirken routiniert. Viele von ihnen haben schon mehrere Unternehmen gegründet.

Sarah Nadav ist eine Mittdreißigerin, Mutter, und ein relativer Neuling im Start-up-Geschäft. Jetzt ist sie schon zum zweiten Mal bei diesem sogenannten „Bootcamp“ dabei, einer Art Partnerbörse für junge Unternehmen. In zwei Tagen stellen sich hier über 50 Start-ups vor, die zwar eine Geschäftsidee, aber noch nicht das nötige Kapital haben. Bei Gesprächen unter vier Augen mit den Investoren werden mögliche Kooperationen ausgelotet. Das Interesse an den Start-ups aus Israel ist groß. Unternehmen aus Japan, den USA und Italien sind angereist. Aus Deutschland ist Bertelsmann dabei.

Israels Tech-Szene ist hoch entwickelt. Eine Studie des spanischen Telekom-Riesen Telefónica erklärte Tel Aviv zum zweitbesten Platz auf der Welt, um ein IT-Unternehmen zu gründen. Nur das amerikanische Silicon Valley schnitt besser ab. Berlin kam auf den 15. Platz. Die Giganten der Branche wie Microsoft, Intel oder Cisco haben längst Entwicklungs-Abteilungen in Israel aufgebaut. An der amerikanischen Technologie-Börse Nasdaq sind 63 israelische Unternehmen gelistet, mehr als aus Europa, Japan, China, Korea und Indien zusammen - und fast täglich werden im Land neue Unternehmen gegründet.

Nadavs Start-up heißt „Bukit“. Es soll dazu beitragen, dass amerikanische Kleinschuldner und ihre Gläubiger schneller und stressfreier zu einem Vergleich kommen. Bisher wird dieser Markt von spezialisierten Eintreibern beherrscht, die mit manchmal rüden Methoden säumige Schuldner aufspüren, zum Zahlen zwingen und dabei hohe Gebühren nehmen. Bukit zielt direkt auf einen Vergleich zwischen beiden Parteien ab und hat einen riesigen Markt im Visier: 2,7 Billionen Dollar ausstehende Privat-Schulden gibt es allein in den USA. Für seine Dienste verlangt Bukit eine Gebühr von den Gläubigern, nicht den Schuldnern.

Als Nadav auf dem Bootcamp im vergangenen Jahr ihre Idee zum ersten Mal vorstellte, seien die Leute sehr skeptisch gewesen, sagt sie. Wie könne sie das schon schaffen? Nadav hat einen Abschluss in Non-Profit-Management und kann nicht programmieren. Aber sie hat gute Partner gefunden. Einer ihrer Berater ist Miles Ward, der 2012 half, die ersten Bilder des NASA-Mars-Roboters „Curiosity Rover““ im Internet zu verbreiten und Mitglied der inzwischen legendären Programmier-Mannschaft war, die die Software für die Wahlkampagne von US-Präsident Barack Obama entwickelt hatte.

Aber Nadav hat noch mehr: einen guten Grund für ihr Unternehmen. Sie war schwanger und lebte noch in den USA, als bei ihrem Ehemann ein Gehirntumor diagnostiziert wurde. Das Paar hatte kein regelmäßiges Einkommen mehr, die Eltern konnten sie kaum unterstützen und die USA rutschten immer tiefer in die Rezession. Nadav und ihr Mann nahmen Kredite auf, um die Behandlung zu bezahlen. Irgendwann beglichen sie die Schulden der einen Kreditkarte mit einer anderen Kreditkarte, die Zins-Spirale drehte sich immer schneller - und Nadav zog nach Israel. Hier hatte sie schon einmal gelebt, hier half ihr der Staat mit einem Forschungs-Stipendium und bei der Behandlung ihres Mannes. 2011 gründete sie Bukit.

Israel wird gerne als „Start-up-Nation“ bezeichnet; den Begriff hatte ein Bestseller von Dan Senor und Saul Singer mit gleichem Namen geprägt. Das Land selbst sei gerade einmal 60 Jahre alt und habe keine Chance gehabt, traditionelle Industrien aufzubauen, schreiben Senor und Singer. Die Israelis mussten erfinderisch werden, um zu Wohlstand zu kommen.

Geholfen habe ihnen dabei, dass die Armee ihren jungen Wehrpflichtigen schon früh große Verantwortung überträgt und - ironischerweise - Hierarchien einebnet. Denn in der israelischen Armee ist es für einen jungen Offizier üblich, auch Generäle zu duzen und offen zu kritisieren. Daraus entstünde eine Kultur, die Innovation belohnt und das Risiko zu scheitern nicht scheut - perfekt für angehende Unternehmensgründer.

Sarah Nadav profitierte von dieser Kultur. Denn im vergangenen Jahr seien die Investoren zwar noch skeptisch gewesen. Inzwischen hat sie mit Bukit aber die ersten Vergleiche abgewickelt, die Nachfrage nach ihrem Dienst ist größer als sie derzeit mit ihrem kleinen Team stemmen kann. Bei dem Bootcamp im Tel Aviv Peres Center hätten sie mehrere Investoren kontaktiert, sagt Nadav.