Viel Spielraum: BGH zu Beleidigungen im Internet

Karlsruhe (dpa) - Beleidigungen und üble Nachrede sind im Internet an der Tagesordnung. Nicht immer sind die Autoren bekannt, und die Provider sitzen meist im Ausland.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) und der Bundesgerichtshof (BGH) haben am Dienstag in unterschiedlichen Verfahren die Rechte der Betroffenen gestärkt. Diese können heimische Gerichte anrufen, um ihre Rechte geltend zu machen.

Der BGH legte zugleich klare Prüfregeln für Provider vor, die sie bei dem begründeten Hinweis auf Verletzung von Persönlichkeitsrechten befolgen müssen. Nach Expertenmeinung lassen diese jedoch viel Interpretationsspielraum offen. Das zeigen bereits die Reaktionen: Während sich der Provider Google, der als Beklagter vor dem BGH stand, als Sieger feierte, würdigte die Bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) die Entscheidung als Erfolg für die Nutzer.

Beide Interpretationen sind verständlich. Google hatte befürchtet, künftig alle Inhalte vorab auf Rechtmäßigkeit zu prüfen. Das wäre nicht zu bewältigen gewesen. „Auch besteht keine Pflicht von Google, Tatsachenbehauptungen quasi "auf Zuruf" des sich in seinen Rechte verletzt Fühlenden zu entfernen“, freute sich der Leiter der Rechtsabteilung, Arnd Haller.

Die Nutzer dagegen mussten befürchten, dass die Provider überhaupt nicht in die Pflicht zu nehmen sind. Damit müsste sich jeder Mensch, der im Internet diffamiert wird, auf die mühsame und meist wenig vielversprechende Suche nach dem Autoren machen. Vor diesem Hintergrund sind Merks Worte zu deuten: „Internetprovider können sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen, wenn auf den von ihnen zur Verfügung gestellten Seiten andere beleidigt und diffamiert werden.“ Der BGH habe klare Spielregeln aufgestellt.

Auf den ersten Blick lassen die Regeln auch nichts zu Wünschen übrig: Der Beleidigte informiert den Provider, der Provider bittet den Blog-Verantwortlichen um Stellungnahme. Meldet sich dieser nicht, wird der Eintrag gelöscht. Bleiben er und der Beleidigte jedoch unnachgiebig, muss der Provider die Beweise würdigen und dann entsprechend handeln.

Genau an diese Stelle sieht die Frankfurter Medienrechtsexpertin Katy Ritzmann das Problem. „Die Provider sollen damit in einer Vorstufe das leisten, was sonst Aufgabe der Gerichte ist.“ Gerade in der Abwägung der Persönlichkeitsrechte mit der Meinungsfreiheit gebe es aber in Deutschland sehr unterschiedliche Rechtsauffassungen. „Die spannende Frage wird dann sein: Wie reagiert der Provider? Macht er es sich leicht und löscht die beanstandeten Passagen, oder stellt er sich auf die Seite der Blogger und ficht für die Meinungsfreiheit.“

Als mögliche Barriere für die Betroffenen sieht Ritzmann zudem die Vorgabe des BGH, dass der erste Hinweis an die Provider „so konkret gefasst“ sein muss, dass er „ohne eingehende rechtliche und tatsächliche Überprüfung bejaht werden kann“. Auch diese Formulierung lasse durchaus Interpretationsspielräume, sagte Ritzmann. Ihr Resümee lautet: Wenn die Provider die Auflagen des BGH ernst nehmen wollen, müssen sie ihre Rechtsabteilungen erheblich aufstocken.

Auch bei der grundsätzlich nutzerfreundlichen Entscheidung zum Gerichtsstandort findet die Medienrechtsexpertin ein Haar in der Suppe. „Was ist, wenn der Provider keinen Sitz in Deutschland hat?“ Dann müssten die Betroffenen bei einem Prozess auch mit jeder Menge Schwierigkeiten und Kosten rechnen.

Der EuGH hatte mit seinem Urteil dem Mörder des Schauspielers Walter Sedlmayr recht gegeben, der gegen seine Namensnennung auf einer österreichischen Internetseite geklagt hatte. Der BGH verhandelte den Fall eines Mannes, der in einem Mallorca-Blog bei voller Namensnennung beschuldigt worden war, mit seiner Firmen-Kreditkarte Sexclub-Rechnungen bezahlt zu haben. Der Fall muss jetzt nochmals aufgerollt werden, weil im ersten Verfahren nicht ausreichend beachtet wurde, was Google unternommen hat, um den Vorwurf der Beleidigung zu prüfen.