Was Guttenbergs Facebook-Freunde wert sind

Hunderttausende zeigen bei Facebook per Mausklick, dass sie den früheren Verteidigungsminister Guttenberg zurückwollen - doch nur wenige gehen dafür auch auf die Straße. Eignet sich die Online-Unterstützung als Barometer für die Stimmung im Land?

Berlin (dpa) - Bei Facebook hat Karl-Theodor zu Guttenberg 580 000 Freunde. Doch wenn es darum geht, für den gestürzten Minister auf die Straße zu gehen, schwindet die Begeisterung: Zu den Demonstrationen am Wochenende erschienen nur ein paar hundert Unterstützer, sieht man von der fränkischen Heimatstadt des CSU-Politikers ab. Woher kommt diese Kluft zwischen online und offline - und was sagen die vielen Facebook-Fans überhaupt aus?

Die schwache Straßenpräsenz der Guttenberg-Freunde sieht mancher Kritiker als Indiz dafür, dass die virtuelle Bewegung nicht echt ist. Manipulationen konnte Marcus Schwarze von der „Rhein-Zeitung“ jedoch nicht feststellen. Der Internet-Experte erhielt von den Machern der Facebook-Gruppe „Wir wollen Guttenberg zurück“ Einblick in die Statistiken und stellte fest, dass tatsächlich viele Nutzer dorthin navigierten. Auch wenn einige einen gefälschten Account haben und andere eher gegen Guttenberg sind, meint Schwarze: „Der Schwarm hat Substanz.“

Doch was bedeutet ein Schwarm, der sich nur online sammelt? Zunächst einmal, dass viele Menschen eine Meinung zur Guttenberg-Diskussion haben. Ein Klick auf die Gruppe sei ein „Signal an das eigene Netzwerk“, erklärt Jan Schmidt vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung in Hamburg. Denn die Solidaritätsbekundungen werden für die Facebook-Freunde sichtbar. „Früher hat man ein Button an die Jacke gepinnt, heute drückt man einen Button im Sozialen Netzwerk“, sagt Schmidt, der sich auf das Web 2.0 spezialisiert hat.

Mit echtem Aktivismus habe das wenig zu tun. „Der Schritt von Facebook in die Welt außerhalb des Internets erfordert mehr“, sagt Soziologe Schmidt - etwa dass man sich inhaltlich austauscht und jemand die Aktivitäten koordiniert. Eine Online-Gruppe könne allenfalls die „Keimzelle“ für weitere Aktionen sein. „Viele Nutzer haben sich aber auch nicht als Aktivisten verstanden, sondern in einer neuen Art von Öffentlichkeit ihre Meinung geäußert.“

Trotzdem sieht Schmidt in den Klicks für Guttenberg ein Barometer für die Stimmung in der Gesellschaft: „Diese Dynamik ist ein Ausdruck dessen, was gesellschaftlich diskutiert wurde - auch kontrovers.“

Da es oft beim virtuellem Engagement bleibt, sind Bewegungen im Netz bei Beobachtern wie Evgeny Morozov in Verruf geraten. Der Politikwissenschaftler hat dafür den Begriff „slacktivism“ geprägt - ein Wortspiel, das sich aus den englischen Begriffen „slack“ (schlapp) und „activism“ (Aktivismus) zusammensetzt. Aktivismus für Faule also. Ohne althergebrachte politische Prozesse - beispielsweise Demonstrationen - passiere gar nichts, erläuterte der Gastdozent von der Universität Stanford in der „New York Times“.

Auf die Straße gehen Facebook- und Twitter-Nutzer erst, wenn etwas „Resonanz“ erzeugt, sagt Peter Kruse - also wenn ein Thema Menschen bewegt, sie sich in ihrer Meinung gegenseitig bestärken und dann im gleichen Takt schwingen. „Das Internet ist ein Medium, das seine Stärke durch die Aktivierung erreicht, nicht nur durch Aufmerksamkeit“, sagt der Unternehmensberater und Uni-Dozent.

„Im politischen Raum läuft die Aktivierung über Themen, nicht über Personen“, ist Kruse überzeugt. Er macht das am Fall Guttenberg fest - nicht an den Klicks für den CSU-Politiker, sondern der kollektiven Plagiatsuche im Netz. Die „Copy & Paste“-Arbeit empörte viele Menschen so sehr, dass sie in ihre Freizeit investierten. „Dort haben Leute mehr gemacht, als ihre Meinung von sich zu geben“, sagt Kruse, der Bewegungen im Netz aus organisationspsychologischer Sicht untersucht.

Eine hohe „Einschaltquote“ im Netz hat nach Kruses Überzeugung nur in der Popkultur einen Wert, nicht aber in der Politik. „500 000 Klicks allein bringen nichts“, sagt Kruse und vergleicht Guttenberg mit dem umstrittenen Schauspieler Charlie Sheen, der seit kurzem bei Twitter aktiv ist und dort knapp zwei Millionen „Follower“ hat: „Sonst könnte man auch sagen: Charlie Sheen for president!“