WikiLeaks-Alternative - Briefkasten statt Propaganda
Berlin (dpa) - Den Namen von Julian Assange nimmt der ehemalige Weggefährte nicht in den Mund. Aber alle wissen, wen Daniel Domscheit-Berg meint, wenn er sagt: „Macht sollte verteilt werden, nicht in einer Hand liegen.“
Kurz vor Veröffentlichung seines Buchs mit dem Titel „Inside WikiLeaks“ wendet sich Domscheit-Berg bei einer Diskussionsrunde der Heinrich-Böll-Stiftung mit taz.de auch dagegen, dass die von Assange gegründete Internet-Plattform Ankündigungen neuer Enthüllungen der Welt wie eine Drohung serviert habe - „das ist alles nur politische Agitation“.
Mit dem eigenen Angebot Openleaks will Domscheit-Berg lediglich einen Briefkasten anbieten, wie er bei der Veranstaltung zum Thema „Whistleblowing, WikiLeaks und die neue Transparenz“ am Dienstagabend in Berlin erklärt. Es gehe allein um die Bereitstellung einer anonymen Infrastruktur für Whistleblower, also für Informanten, die öffentlich relevante, aber firmen- oder behördeninterne Dokumente einreichen wollen. Das Veröffentlichen sollen dann andere machen, Medien und Nichtregierungsorganisationen (NGO), die als Partner an Openleaks angeschlossen sind - bislang stehen diese laut Domscheit-Berg aber noch nicht fest.
Eine solche NGO ist auch der Chaos Computer Club, für den Constanze Kurz in der Diskussionsrunde mit dabei ist. Sie macht mit der ihr eigenen Offenheit deutlich, dass die eigentliche Veröffentlichung der Dokumente, wie es Wikileaks mit den Botschaftsdepeschen getan hat, schon von kritischer Bedeutung ist: „Wir hätten es auch nicht gemacht, also den Arsch in der Hose muss man erst mal haben.“
Nach der Eskalation um die Botschaftsdepeschen habe Wikileaks jetzt ein Vakuum hinterlassen, konstatiert Kurz. Das Portal könne seine ursprüngliche Aufgabe nicht mehr erfüllen. Jetzt gebe es die Frage, wer diese Lücke schließen könne. Dabei sollte es „ein paar ethische Standards“ geben, sagt die CCC-Vertreterin und kritisiert Domscheit-Bergs Briefkasten-Konzept: Man könne sich nicht darauf zurückziehen, dass man nur eine technische Plattform bereitstelle.
Auch Wikileaks will sich aber die Handlungsfähigkeit nicht absprechen lassen. „Wikileaks ist arbeitsfähig“, ließ Assange am Mittwoch einen deutschen Anwalt erklären. Hintergrund ist ein Streit um Datenbestände, die Domscheit-Berg nach eigenem Bekunden bei seinem Abschied von Wikileaks mitgenommen hat - weil sie bei seinen früheren Mitstreitern nicht mehr sicher seien. Assange fordert nun ihre Rückgabe. „Die Materialien sind selbstverständlich bei Wikileaks sicher“, betonte Assanges Anwalt. „Wikileaks ist "berechtigt", diese Materialien zu verwahren.“
Vor dem Hintergrund dieses Streits klingt der Aufruf des Grünen- Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz besonders aktuell, die Leaking-Plattformen dürften nicht diskreditiert werden. Denn ihre Entstehung sei ein deutliches Indiz dafür, dass die Menschen mehr Transparenz wollten.
Das Thema Wikileaks will Domscheit-Berg für sich abschließen. Mit seinem am Freitag erscheinenden Buch wolle er zeigen, „wie es abgelaufen ist“, erklärt der ehemalige Sprecher der Enthüllungsplattform, der das Projekt im September vergangenen Jahres nach einem Streit mit Assange verlassen hat. Die größte Errungenschaft von Wikileaks sieht der Informatiker im Nachhinein darin, dass nun allenthalben über Geheimhaltung, Transparenz und die Frage diskutiert werde, „was wir geheimhalten müssen und was wir nicht geheimhalten dürfen“.