Kultur Aeham Ahmad - Der Musiker gegen die Trostlosigkeit

Als Pianist in den Trümmern von Yarmouk wurde Aeham Ahmad berühmt. Jetzt erzählt der syrisch-palästinensische Flüchtling seine Geschichte in einem Buch — Innensicht eines Getriebenen.

Foto: Niraz Saied

Düsseldorf. Am Dienstag, dem Tag der Deutschen Einheit, hat Aeham Ahmad auf seiner Facebook-Seite ein Porträt veröffentlicht, das den syrischen Fotografen Niraz Saied zeigt. Eine Erinnerung an den Freund, der jetzt schon zwei Jahre verschollen ist, irgendwo in den Fängen des Assad-Regimes. Einst sind die beiden gemeinsam durch Yarmouk gezogen, Ahmad mit seinem Klavier, Saied mit seiner Kamera. Dabei ist dieses eine Bild entstanden, das später um die Welt ging: der Pianist in der Trümmerwüste des Vorortes von Damaskus, anspielend gegen die Trostlosigkeit des Krieges.

Am Dienstagabend hat Ahmad im Kasseler Staatstheater gespielt, gemeinsam mit dem Edgar-Knecht-Trio. Seine Flucht endete am 23. September 2015 mit der Ankunft in Deutschland, seit August 2016 sind auch seine Frau und die beiden kleinen Söhne hier in Sicherheit. Aber wer in diesen Tagen ein Konzert von ihm erlebt, der spürt: Gegen die Trostlosigkeit spielt er noch immer an, getrieben von den Dämonen seiner Erinnerung, von den Schuldgefühlen — und von der Sehnsucht nach Frieden. Wo dieses Getriebensein wurzelt, kann man ab heute nachlesen: In dem Buch „Und die Vögel werden singen“ erzählt Aeham Ahmad seine Geschichte.

Eine Geschichte, die schon in ihren glücklichsten Momenten vom Flüchtlingsdrama durchwebt ist. Denn Ahmads Großvater gehört zu den über 700 000 Palästinensern, die im Zuge des israelischen Unabhängigkeitskrieges 1948 vertrieben werden. Zehntausende kommen später im Flüchtlingslager Yarmouk vor den Toren von Damaskus unter, das 1954 errichtet wird, im Laufe der Jahrzehnte immer weiter verstädtert und sich zu einem Vorort der syrischen Hauptstadt entwickelt. Aber die endgültige Aufnahme in die Gesellschaft bleibt den Palästinensern verwehrt. „Du sollst eine Sprache lernen, die jeder versteht“, wird Ahmads blinder Vater seinem Sohn eines Tages sagen, als der mal wieder keine Lust hat, Klavier zu üben. „Wir sind Flüchtlinge. In die Heimat können wir nicht. Du sollst international sein.“

Der Vater lebt bis heute noch in Yarmouk, ebenso die Mutter. Das ist eine dieser Wunden, die Aeham Ahmad umtreiben. Eine andere: das zwölfjährige Mädchen Zeinab, das ihn Ende August 2014 dazu drängt, doch wieder loszuziehen mit dem Klavier und mit seinem Kinderchor in den Trümmern zu singen. Er lässt sich umstimmen, obwohl er müde ist. Dann fällt ein Schuss — und die Kleine ist tot.

Dabei war das Musizieren inmitten des Krieges doch gerade dem Leben und Überleben gewidmet gewesen und hatte seinem Initiator zu weltweiter Beachtung verholfen. Das berühmte Foto, die Videos auf Youtube und Facebook von den Auftritten in den zerbombten Straßenzügen: Bewegt nimmt die Weltgemeinschaft Ahmads Klagen und Anklagen, seine Friedenssehnsucht und seine musikalischen Hilferufe auf. Und staunt über einen, der eingeschlossen und vom Tod bedroht noch auf die Kraft der Musik vertraut.

Irgendwann, als Ahmad Deutschland erreicht und seine rastlose Konzerttätigkeit aufgenommen hat, fragt er seinen hier gewonnenen väterlichen Freund Hans Karl Henne, warum die Leute so von ihm begeistert seien, „obwohl es 100 000 Pianisten gibt, die besser sind als ich“. „Du und deine Geschichte begeistern sie und ziehen sie in deinen Bann“, antwortet Henne.

So ähnlich verhält es sich auch mit dem Buch. Es erzählt eine persönliche Lebensgeschichte, aber zugleich auch die Geschichte eines Krieges und seines brutalen Eindringens in den Alltag von Yarmouk und einer wohlhabenden Instrumentenbauer- und Musikhandelsfamilie. Es erzählt davon, wie Menschen jenseits dessen, was über die Nachrichten nach außen dringt, versuchen, sich zu arrangieren, zerrissen zwischen den inneren Bindungen an die Heimat und den Fluchtinstinkten, um das eigene Überleben zu sichern. Es erzählt also all das, was Menschen wissen sollten, um Flüchtlinge besser zu verstehen.

Wie spannend und bewegend das Buch dies alles erzählt, hat auch mit denjenigen zu tun, die Ahmads Erzählungen aufgeschrieben haben. Sandra Hetzl, Übersetzerin aus dem Arabischen und Kennerin der arabischen Literatur, sowie Ariel Hauptmeier, jahrelanger „Geo“-Reporter und zuletzt Textchef bei „Correctiv“ und inzwischen beim Schweizer Digital-Magazin „Republik“, bringen die Geschichte sprachsensibel und dramaturgisch an manchen Stellen fast schon zu gekonnt zum Klingen.

Hans Karl Henne (75), der von seinem Wohnsitz in Lüneburg seit dem Beginn der Freundschaft alle zwei Tage telefonischen Kontakt zu dem erst 29-jährigen Pianisten mit Wohnsitz in Wiesbaden hält, lobt jedenfalls die Textarbeit der Autoren: „Ich habe bei einer ersten Lesung gedacht, ich höre deutlich die Stimme Aehams heraus.“ Auch er sieht in dem jungen Musiker einen Getriebenen — getrieben von der Botschaft, über die Musik auf die prekäre Situation von Flüchtlingen hinzuweisen, Vertrauen zu wecken, Mut zu machen. „Seine Konzerte sind durch und durch biografische Konzerte.“

Wie verkraftet ein Mensch diese biografischen Brüche? Der Existenzaufbau in Syrien, der arabische Frühling, dann die Blockade des gesamten Viertels, zermahlen zwischen den Kriegsparteien, die Todesangst und Bedrohung durch den IS, schließlich die Entscheidung zur Flucht und das Glück einer musikalischen Karriere in Europa. Manchmal hasse er sich für diesen Erfolg, schreibt er in dem Buch. „Und dann denke ich: Ich sitze hier auf einem Berg aus Leichen.“ In diesen Momenten muss er wieder raus, „schnell etwas unternehmen, noch ein Konzert, noch ein Interview, weiter, weiter.“

Aus diesem Impuls heraus ist auch das Buch entstanden: „Ich will sprechen. Ich will, dass das Schwarze in mir weggeht.“ Wer es liest und die teils nervenaufreibende CD „Yarmouk — Music for Hope“ hört, der ahnt: Ahmads innere Ruhe liegt noch in weiter Ferne.