Aufbruch und Revolte: Die Kunst der 68er
Die 1968er Jahre waren in Düsseldorf mit Humor und Satire verbunden. Der Staat nahm viele Aktionen für bare Münze.
Düsseldorf. Das Stückchen Holz mit den leicht abgeschabten Nationalfarben, dem Wort LIDL und der primitiven Kunststoffkordel wirkt heute wie ein Fossil aus längst vergangenen Protestjahren. Man pflegt es unter eine Glashaube auf ein Fundament zu setzen, damit es überhaupt beachtet wird. Die Ikone der Studentenrevolte aus Düsseldorf erscheint wie Strandgut, das der Rhein angespült hat. LIDL war das Schlagwort am Ende der 1960er Jahre, bewusst kindlich-naiv, eine Variante zu Dada, gerade recht für Aktionen, in denen sich Satire und Politik verquicken sollten. Jörg Immendorff, der Urheber des Objektes, zog mit diesem „Klotz am Bein“ Ende Januar 1968 vor das Bundestagsgebäude in Bonn und machte die Polizei wild. Der Staatsanwalt ermittelte wegen „Verunglimpfung der Bundesrepublik“. Das Verfahren wurde später eingestellt. Ein Rückblick auf die wilden 1960er Jahre.
Die sogenannte Kulturrevolution vor 50 Jahren fing schon am 22. Juni 1967 um 16 Uhr auf der städtischen Wiese vor der Düsseldorfer Kunstakademie an. Vor rund 200 Studenten und Journalisten gründete Joseph Beuys die Deutsche Studentenpartei. Es war der Auftakt zum „erweiterten Kunstbegriff“, aber auch der Anfang seines Endes als Landesbesoldeter. Beuys wagte es, allen Menschen schöpferische Fähigkeiten zuzubilligen. Er glaubte, ausgerechnet mit Kunst den Lernwilligen zur geistigen Mündigkeit zu verhelfen. Seine Utopie scheiterte, die Akademie konnte die Studentenmassen nicht aufnehmen, am 10. Oktober 1972 setzte ihn der damalige Wissenschaftsminister Johannes Rau vor die Tür. Später bekam er zwar seinen Raum, nicht jedoch seinen Lehrstuhl zurück.
Düsseldorf war seinerzeit eine Werbemetropole. So baute etwa 1967 der Künstler und Kommunikator Karl Gerstner als Geschäftsführer der Gerstner, Gredinger + Kutter GmbH die Zweigstelle der Werbeagentur in der Landeshauptstadt so aus, dass sie bald die Schweizer Muttergesellschaft überflügelte. Gerstner lockte seinen Freund, den Tänzer, Mimen, Regisseur und Grenzgänger der Künste, Daniel Spoerri, an den Rhein. Am 17.Juni 1968 eröffnete er das Restaurant Spoerri am Burgplatz. Mit „Fallenbildern“ trieb er ein absurdes Spiel, indem er die Reste eines Menüs nicht in den Müll schob, sondern an die Wand oder die Decke klebte. Sein „Lizenzinhaber“ Carlo Schröter kredenzte zuvor auf den Tellern Bärenfleisch, Ameisen, Termiten, Bienen, Seidenraupen, Kaktuswürmer und Löwengeschnetzeltes.
Am 18. September 1970 gründete Spoerri über seinem Restaurant eine Eat-Art-Galerie. Die Kunst konnte nun im Magen verschwinden, sie hatte keinen Ewigkeitswert mehr. Die Leitung der Galerie übernahm Hete Hünermann, Schwester von Gabriele Henkel. Und Joseph Beuys bot eine „1a gebratene Fischgräte“ als „Freitagsobjekt“ an.
Freunde bestimmten das Geschehen. Sie kamen aus der Schweiz, aus Italien, Belgien und England. Sie managten ihre eigene Schau. Der Burgplatz, das Creamcheese, der ehemalige Frisiersalon auf der Andreasstraße waren genauso wichtig wie Ausstellungen in den Galerien Schmela oder Konrad Fischer.
Die Amerikanerin Dorothy Iannone hatte englische Literatur studiert und die Freigabe von Henry Millers Büchern in den Vereinigten Staaten durch eine Privatklage erzwungen. Obwohl mit einem amerikanischen Millionär verheiratet, verliebte sie sich in den Schweizer Künstler Dieter Roth. Im Frühjahr 1968 landeten Dorothy & Dieter in Düsseldorf-Oberkassel und machten Kunst mit Schokolade wie mit Hasenkötteln. Der Fluxus-Künstler wurde Akademieprofessor. Über New York und Villefranche landete auch die japanische Fluxuskünstlerin Takako Saito 1969 in Düsseldorf. Sie bewies erst kürzlich in einer Retrospektive in Siegen die lyrischen Züge in der Kunst der 68er Jahre.
Ganz wichtig sollte Ferdinand Kriwet werden, der Wortwirbler, der die Literatur auf die Straße brachte. 1967 ließ er sich von einem Schildermaler aus Düsseldorf-Unterbilk seine „Buttons“ herstellen. Die Buchstaben wurden kreisförmig arrangiert, in Leichtaluminium gepresst und lackiert. Wer die Texte liest, stößt auf private und politische Fragen, kreist um die damals unter Strafe stehende Homosexualität, um Inzest und Eros, findet vom amerikanischen Traum zur großen Macht. Der poppigen Zeit entsprechend sind die Worte in Englisch geschrieben, so dass sich die sprachliche Ambiguität nicht übersetzen lässt, was die Doppelbödigkeit erhöht.
Fritz Schwegler sollte später einer der wichtigsten Akademieprofessoren werden. Er vertrat seine Kunst wie ein Handlungsreisender im schäbigen, durchlöcherten Koffer. Dieser „Ratat-Koffer“ war eine Hülle für verquere Gedanken. Als er 1971 damit bei Alfred Schmela auftauchte, war der Galerist so fasziniert, dass er ihm die erste Einzelausstellung gab. Im Gespräch mit der Autorin sagte Schwegler 1992: „Neu war damals, dass ich alle bekannten Kategorien durcheinander brachte. Und dass Kunst erstmals auch lustig und humorig sein konnte.“
Lang, lang, ist’s her. Es war die Zeit, wo Katharina Sieverding ihre ersten Selbstporträts im Fotomaton machte, weil sie dazu weder Kamera noch Filme, geschweige denn ein Studio brauchte. 1969 benutzte sie auch Sofortbilder, die man verändern konnte, sobald die Taschen vorschnell aufgerissen waren. Das Licht stoppte dann den Entwicklungsprozess des Bildes, zu dem Finsternis nötig ist.
Günther Uecker stürmte im April 1968 mit Gerhard Richter die Kunsthalle Baden-Baden und schlüpfte dafür in einen Pyjama mit Sträflingsstreifen. Dann schob er einen großen Nagel unter den Arm, wie eine Hieb- und Stoßwaffe gegen unsichtbare Gegner. Und tönte in seiner „Uecker Zeitung“, 1969: „Ich denke, dass man die Museen zu bewohnbaren Orten erklären soll. Museen können Agitationsorte des Geistes mit einer größeren Öffentlichkeitswirkung sein.“
Der Nagelkünstler brachte immer auch sich selbst ins Spiel. Sein Nageltisch von 1968 berührte den Kopf dessen, der durch die eingehängten Nägel hindurchschritt. Die „Plantage“ seiner Baumstämme in der Kunsthalle Düsseldorf (between 2, 1969) kratzte die Haut der Leute, die sich der Kunst zu sehr näherten. Zehn Jahre später, 1979, trennte ihn lediglich ein Sicherheitskorb von einem Rasenmäher.
Von den einstigen Freunden leben heute nur noch Katharina Sieverding, Günther Uecker und Takako Saito in Düsseldorf, Dorothee Jannone in Berlin, Klaus Staeck in Heidelberg, Ferdinand Kriwet in Dresden und Daniel Spoerri in Italien. Joseph Beuys, Jörg Immendorff, Karl Gerstner, Hete Hünermann, Alfred Schmela, Konrad Fischer, Dieter Roth und Fritz Schwegler sind tot.