Düsseldorf Ballettabend "b.28": Mal heiter, mal dunkel — fast immer sanft
Tanztechnisch zeigt sich die Truppe des Düsseldorfer Ballettdirektors Martin Schläpfer von ihrer besten Seite — ein wenig fehlt der Tiefgang.
Düsseldorf. Mal heiter, mal dunkel. Überwiegend aber sanft und harmlos: Erst im Finale steigen 13 Paare der hoch trainierten Düsseldorf/Duisburger Tanzkompanie aus Nebelschwaden empor und kredenzen einen Marathon aus kurzen, aber intensiven Pas-de-deux. 13 an der Zahl. Zum Abschluss der Saison kredenzt das Ballett am Rhein etwas Leichtes. Ungewöhnlich unangestrengt zumindest. Die Truppe von Martin Schläpfer zeigt sich zwar tanztechnisch wieder von ihrer Glanzseite, gräbt aber nicht in philosophischen Tiefen wie sonst so häufig, wenn der Chefchoreograph Schläpfer selber kreiert.
Beim Ballettabend „b.28“ — einem Dreiteiler, wie üblich — hält sich der Meister bedeckt und beschert zwei Uraufführungen von Kollegen. „Different Dialogues“ vom Niederländer Nils Christe und „Tenèbre“ von Hubert Essakow. Dazu gibt’s noch einen eher harmlosen Klassiker des Modern Dance von Paul Taylor aus dem Jahr 1975. Die Premiere im Düsseldorfer Opernhaus wurde wie gewöhnlich frenetisch von Fans gefeiert. Das kennt man, seit sieben Jahren.
Wer auf Nervenkitzel, spektakuläre Bewegungen, akrobatische Kunststücke und aufrüttelnde Botschaften wartet, kommt bei b.28 indes weniger auf seine Kosten. Die zweieinhalb Stunden fließen dahin. Überwiegende Stimmung: Sommerliche Wärme und Andante Melancholico. Nur Paul Taylors „Esplanade“ schmiegt sich Augen und Ohren an — durch zwei bekannte Bach-Konzerte für eine und zwei Violinen und nette Solo- und Gruppen-Bilder von drei Männern und fünf Frauen. Wie ausgelassene Kinder laufen sie quer über die Bühne, bilden einen Kreis, hüpfen, kriechen oder purzeln.
Wenn sie sich auch aus Übermut schon mal drehen, so verzichten sie in knapp 30 Minuten auf akademische Tanzschritte. Sie kommen ausgeglichen und entspannt über die Rampe — wie auf einer Kur-Promenade (oder: ‚Esplanade’). Und stecken durch ihre Leichtigkeit und Unbekümmertheit an, verzichten bewusst auf Provokation und Kontraste. Ganz nett anzuschauen ist das. Harmlos, wenn auch tänzerisch herausfordernd wirken die Tableaus in Blau, Türkis und Weiß von Nils Christe. Hier können die Tänzer allerdings zeigen, was sie an neoklassischer Bravour und Bühnenpräsenz so draufhaben. Der renommierte Holländer Christe, der an zahlreichen Häusern Europas seine unterhaltsamen Ballette in Szene setzt, ließ sich für seine ‚Dialoge’ von der narkotisierenden Minimal-Music des Amerikaneer Philipp Glass inspirieren.
Vor einem riesigen Splitterbild (Bühne: Thomas Rupert) betören die Athleten in Soli, Duetten, Terzetten oder in kleinen und größeren Gruppen. Überraschend der Mittelsatz, in dem die sonst dahinschnurrende Musik ersetzt wird durch eine Geräuschkulisse. Zu dem Klirren von zerbrechendem Glas und knirschenden Splittern hat die Starsolistin Marlúcia do Amaral ihren Auftritt. Drei Partner (Marcos Menha, Andriy Boyetskyy und Rashaen Arts) stehen ihr in diesem bizarren Solo zur Seite. Marlúcia rennt drauflos, ins Leere und wird von den Herren, wie erwartet, aufgefangen. All’ das regt nicht auf, überzeugt aber durch Ästhetik und puren Tanz.
Künstlerisch anspruchsvoll indes gibt sich das kurze Stück „Tenèbre“ von Hubert Essakow zu den geheimnisvollen Gothic-Klängen für Streichorchester und Viola Solo von Bryce Dessner. Der Brite Essakow (mit südafrikanischen Wurzeln) lässt die Tänzer langsam aus dem Nachtdunkel emporsteigen in eine lichtdurchflutete Welt. Durch raffinierte Lichtregie (Mark Doubleday) werden die Körper erst allmählich sichtbar. Im Schneckentempo erheben sich die Kreaturen (in Schwarz, Weiß und vielerlei Grauschattierungen) vom Boden. Sie bewegen sich zunächst gebeugt und tanzen erst am Schluss kerzengerade. Je ähnlicher sie dem Homo erectus sind, desto raffinierter ihre Tanztechnik. Ansprechend ist dieses Opus, weil es auch mit monumentalen Bühnen-Bildern (Merle Hensel) spielt. Zunächst sieht man ein Triptychon in Weiß-Grau.
Im Finale tanzen die Solisten dann in einen unwirklich grell erleuchteten Wald hinein. Zum Gelingen des Abends tragen auch die Düsseldorfer Symphoniker unter ihrem Kapellmeister Aziz Shokhakimov bei. Der junge Usbeke führt das Orchester durch die Bach-Konzerte genauso sicher und routinert wie durch die Minimal-Werke Philip Glass.