Charlotte Roche hat jetzt ein „Mädchen für alles“
München (dpa) - Helen, Elizabeth und jetzt Christine: Skandal-Autorin Charlotte Roche (37) hat ein neues Buch auf den Markt gebracht. Wieder steht eine Frau im Mittelpunkt. Und die hat ein „Mädchen für alles“ - so der Titel.
Für die Autorin selbst ist es zwar das dritte Buch, aber eigentlich ihr erster Roman, wie sie im „Spiegel“-Interview sagt. „Es kommt mir viel mehr vor wie ein Roman und das macht mich unsicher. Bei den ersten beiden Büchern habe ich gedacht, tja, so ist das halt, das ist mein Leben gewesen, kann ich auch nichts machen, wenn euch das nicht gefällt. Diesmal fühle ich mich ungeschützter.“
Beruhigend, dass Roche gleich betont, dass autobiografische Bezüge in diesem Roman weiter hergeholt sind als in den Vorgänger-Büchern. Ansonsten müsste der Leser sich wirklich große Sorgen machen um Roche und alle, die ihr nahestehen. „Mädchen für alles“ ist schockierend düster und brutal geraten, beißend zynisch, schonungslos - und trotzdem, oder gerade deshalb, extrem kurzweilig und unterhaltend.
Die Tragödie ihres eigenen Lebens, die noch die „Schoßgebete“ definierte, findet nur in einem kurzen Nebensatz auf Seite 57 statt: „Was mir schon alles geschenkt wurde. ADAC-Sicherheitstraining, nur weil einer Freundin mal die ganze Familie in einem Auto gestorben ist.“ Roches drei Brüder verbrannten 2001 bei einer Massenkarambolage in Belgien im Auto. Sie waren auch dem Weg zu Roches geplanter Hochzeit mit ihrem damaligen Freund in England.
Weil diese unglaubliche Tragödie in ihrem dritten Buch nur eine Randnotiz ist, weil Roches Geschichte darin „einer Freundin“ passiert ist, ist „Mädchen für alles“ trotz aller Düsternis und Brutalität sehr viel leichter als der Vorgänger. Im Stil eines ungebremsten, temporeichen inneren Monologes, den sie auch schon in „Feuchtgebiete“ und „Schoßgebete“ anwandte, erzählt Roche die Geschichte von Christine, einer Frau, die eigentlich alles hat: Mann, Haus - und neuerdings auch ein Kind. Doch sie ist alles andere als glücklich: „Ich stehe neben den dreien und gehöre sicher nicht dazu. So ist mein Leben oft.“
Sie ist hin und hergerissen zwischen Verachtung für ihren Mann Jörg und dem unbedingten Willen, ihm zu gefallen. Der einzige Lichtblick in ihrem tristen Dasein: US-Serien, die sie sich reinzieht wie eine Drogensüchtige: „Was man alles aus Serien lernen kann. Den perfekten Mord. Wie man jemanden verfolgt, fesselt, psychisch fertigmacht, eigentlich alles, was bei YouTube-Tutorials verboten wäre.“
Chrissi säuft zuviel, sie kokst, und vergisst schonmal ihr Kind zu Hause. „Als wir wieder zu Hause reinkommen, hören wir Mila schreien. Oh, vergessen.“ Sie hat heftige Gewaltfantasien und lässt in der Realität hochschwangere Frauen bei einer Party in ihrem Haus Melonen essen, die bis zum Anschlag mit Wodka vollgesogen sind: „Den meisten Leuten sage ich: "Vorsicht, da ist viel Wodka drin", außer bei den beiden Hochschwangeren, die im Türrahmen stehen und alles verstopfen.“ Dem „Spiegel“ sagte Roche: „Manchmal dachte ich: Oh, das ist ja sehr unmoralisch.“
Um Christine, die immer mehr durchzudrehen droht, vom anstrengenden Mutter-Dasein zu entlasten, stellt das Ehepaar die hübsche Studentin Marie als Haushaltshilfe und Babysitterin ein, die sich im Aushang eines Bioladens als „Mädchen für alles“ anbietet - und als solches schließlich auch tätig wird.
Christine setzt alles daran, die junge Frau zu verführen. Zum einen, weil sie einfach scharf ist auf sie, vor allem aber, weil sie ihrem Mann Jörg zuvorkommen und Marie kontrollieren will, die schon nach wenigen Tagen besser mit Tochter Mila klarkommt als Mutter Chrissi selbst.
Der ideologische Überbau für ihre Verführungspläne kommt dabei aus der US-Erfolgsserie „House of Cards“, in der Kevin Spacey als skrupelloser Politiker sagt: „Ein großer Mann sagte einmal, alles dreht sich um Sex. Außer Sex. Da geht es um Macht.“
Es gibt weniger Sex-Szenen als in Roches Vorgänger-Romanen. Die in „Mädchen für alles“ wirken aber heftiger, sind eben das erwähnte Machtspiel. „Was Sex angeht, habe ich ja einen Ruf zu verteidigen“, sagte Roche dem „Spiegel“. „Ich wollte zwei Frauen, mit denen etwas passiert. Penisse sollten keine Rolle spielen.“
Ihrem Ruf als Provokateurin, vielleicht sogar als „Skandal-Autorin“ macht Roche aber aus einem anderen Grund alle Ehre: Sie verarbeitet ein Tabu-Thema, das die israelische Studie „Regretting Motherhood“ vor nicht allzu langer Zeit auf die Agenda hob: Mütter, die sagen, wie schwer es ist, Mutter zu sein - und die vielleicht sogar bereuen, Kinder bekommen zu haben.
„Verrückt zu sein ist in Deutschland allemal gesellschaftsfähiger, als keine gute Mutter zu sein“, sagte Roche (selbst Mutter) im „Spiegel“. Die Diskussionen übers Muttersein in Deutschland finde sie „erdrückend“. „Nur wenn zwei Frauen sehr gut befreundet sind, gestehen sie sich ein, wie sehr das Muttersein an den Nerven zehrt.“ Ihr Buch habe darum auch eine politische Botschaft: „Mütter zu animieren, die Wahrheit zu sagen.“
Charlotte Roche: „Mädchen für Alles“, Piper Verlag München 2015, ISBN: 978-3-492-05499-7