Friedenspreis für Internet-Vordenker Jaron Lanier
Frankfurt/Main (dpa) - Der neue Friedenspreisträger Jaron Lanier hat zur Erneuerung des humanistischen Denkens im Internet-Zeitalter aufgerufen.
Der Mensch müsse immer über dem Computer und dem Internet stehen, sagte Lanier bei einer Feierstunde am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche. In seiner Laudatio erklärte der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), der Preisträger aus den USA stehe in der großen humanistischen Tradition Europas und erinnere daran, dass der Mensch niemals zum Objekt degradiert werden dürfe. Lanier erhalte den Friedenspreis „stellvertretend für alle, die diese wichtige Debatte über die digitale Zukunft führen“. Der mit 25 000 Euro dotierte Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zählt zu den wichtigsten kulturellen Auszeichnungen in Deutschland.
Das Internet dürfe nicht zur einzigen Plattform der Kommunikation werden, mahnte Lanier in der Paulskirche, die als Wiege der Demokratie in Deutschland gilt. Heute müsse man sich fragen, ob es ein „Outsourcing“ der Demokratie an Technologiefirmen gebe, sagte Lanier. So würden soziale Beziehungen weltweit über Facebook gesteuert. Lanier sprach dabei von einem „gewaltigen Imperium der Spionage und Verhaltensmanipulation“. Der neue Humanismus ergänze den Glauben an den Menschen und dessen Kreativität um die Ablehnung von künstlicher Intelligenz.
Der 54-jährige Lanier ist ein in New York geborener Informatiker. In seiner Laufbahn beschäftigte er sich vor allem mit virtuellen Welten. Zuletzt trat er als vehementer Kritiker des Geschäftsmodells von Internet-Unternehmen wie Google und Facebook hervor. In seinem Buch „Wem gehört die Zukunft?“ schlägt er die schrittweise Einführung eines neuen Modells der Internet-Wirtschaft vor, bei dem die privaten Urheber von Informationen für jeden Aufruf ihrer Daten mit Kleinstbeträgen vergütet werden sollen. Zurzeit ist Lanier unter anderem für die Forschungsabteilung von Microsoft tätig.
Der SPD-Politiker Schulz griff die Kritik Laniers auf. Er wende sich nicht generell gegen digitale Technologien. „Aber der Glaube, dass wir nur die Summe unserer Daten sind, reduziert und entwürdigt Menschen und verkennt überdies, wer der Schöpfer von Kultur ist.“ Deshalb dürfe es nicht hingenommen werden, dass die Urheber von Werken leer ausgingen, während „einige Wenige mit diesen kulturellen Leistungen Milliardengewinne machen“. Schulz forderte eine „Charta der digitalen Grundrechte“ mit Standards für eine angemessene Honorierung kreativen Leistungen vor.
Dem gastgebenden Börsenverein des Deutschen Buchhandels huldigte Lanier mit dem Bekenntnis: „Das Buch ist ein Bauwerk menschlicher Würde.“ Der Friedenspreisträger erneuerte seine frühere Kritik an Wikipedia und sagte: „Im Zeitalter des Buchdrucks gab es viele verschiedene Enzyklopädien, von denen jede einen Blickwinkel vertreten hat, und doch gibt es im digitalen Zeitalter nur eine. Wieso muss das so sein?“
Der Vorsteher des Börsenvereins, Heinrich Riethmüller, würdigte Lanier als „einen der schärfsten Kritiker des digitalen Kapitalismus“. In der von ihm geführten Debatte gehe es im Kern darum, ob die Vorteile der digitalen Welt mit der Individualität des einzelnen Menschen in Einklang gebracht werden könnten - oder „ob wir uns in immer größere Abhängigkeit von Maschinen begeben und der Mensch zum Algorithmus wird“.
Der Friedenspreis soll dem Frieden, der Menschlichkeit und der Verständigung der Völker dienen. Im vergangenen Jahr ging die Auszeichnung an die weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch.