Jonathan Littel: "Die Wohlgesinnten" - Das unsäglich unlesbare Buch
NS-Zeit: In dem Roman „Die Wohlgesinnten“ schickt Jonathan Littell uns an Hitlers Ostfront und ins KZ zum grausigen Massenmorden.
Düsseldorf. "Er traf den Kopf mit der Kante der Schaufel; der Schädel des Mannes gab nach, Blut und Hirnmasse spritzten auf Tureks Stiefel; deutlich sah ich, wie ein Auge, durch den Hieb hinausgeschleudert, ein paar Schritte weit flog." Der kultivierte, in Jura promovierte und Klavier und Klassik, Bach und Platon liebende Mann, der dies mitteilt, ist der (fiktive) SS-Obersturmbannführer Max Aue, der zur persönlichen Leibstandarte Adolf Hitlers gehört und sich mit ihr absolut identifiziert. Und um seiner Überzeugung willen, dass Kultur durchaus zu Barbarei passt, tragen Jonathan Littells Roman Kapitelüberschriften wie die Sätze einer Sonate (Toccata, Gigue).
Obwohl er die Leichen, über die er leider bei den Erschießungen gehen muss, als "glitschig" empfindet, ist er "ohne Reue". Und wir? Was sollte uns motivieren, massenhaft dieses Buch zu lesen? Dieses absurde Monstrum? Da kann es in der Vorrede hundert Mal heißen: "Ich bin ein Mensch wie jeder andere, ich bin ein Mensch wie ihr!" Nein! Nein? Immerhin hat die "FAZ" für das Werk eine riesige Kampagne inszeniert: Vorabdruck, Audio, Video, Leser- und Expertendiskussion im "Reading Room" online.
Warum dieser Wälzer in Frankreich bis jetzt 800 000 Käufer gefunden hat, ist mir unerfindlich. Es hieß, die Franzosen wüssten weit weniger über den Holocaust als die Deutschen, und deshalb sähen sie hierin so etwas wie Quellenliteratur. Littell selber hat viel Fachliteratur konsultiert, die aber hierzulande geläufig ist. Literatur von Haffner, Fest oder Lanzmanns Film "Shoa", vor Jahrzehnten im Fernsehen ausgestrahlt, waren so ungeheuerliche Ereignisse, und unvergesslich ihre Eindringlichkeit. Littells Buch wirkt da wie ekliger Leichenbrei.
In Interviews hat Littell seine literarischen Vorbilder genannt, Céline, de Sade, Genet. Und so ist seine Sicht des kultivierten Nationalsozialisten die eines sadomasochistischen Homosexuellen, der, "noch mit Sperma im Arsch", die Juden ins Massengrab schießt. Den ein Leben lang die Lust am inzestuösen Beschlafen seiner Zwillingsschwester Una begleitet. Der auch seine Mutter ("die unausstehliche Hündin") und seinen besten Freund Thomas totschlägt, um an die französischen Papiere zu gelangen, die dieser im Jackett trägt und die Max Aues Nachkriegsexistenz in Frankreich begründen.
Aber das Geschehen muss deshalb so sein, hat Littell bekannt, weil die Grundstruktur seines Romans die "Orestie" des Aischylos sei, woher sich der Titel ableitet als Deutung der Erinnyen, die Furien, die Orest nach seinen Bluttaten verfolgen. Ich empfinde das Gesamte indes als eine peinlich triviale Maximierung und Schändung dieser Dichtung.
Grauen, Geilheit, Gewalt ohne Reue und Reinigung, wie die griechische Dramaturgie sie kannte? "An den Wänden klebten Fetzen von Hirnmasse, mit Haaren und Knochensplittern vermengt; auf dem Boden, wo man die Leichen entlanggezogen hatte, waren breite Spuren geblieben, in die man hineinplatschte." Weil ich älter und näher an den Kriegsfolgen aufgewachsen bin als Littell, überdies eine Deutsche, weiß ich, dass wir anders gehandelt haben, das aufzuarbeiten, was Teil deutscher Geschichte ist. Littells "opus magnum" ist grandiose Überheblichkeit und geniale Selbstüberschätzung.
Wenn es um die Massenvernichtung der osteuropäischen Juden geht, kann sich dieser Roman bei weitem nicht mit Jonathan Safran Foers "Alles ist erleuchtet" messen. Littell macht, anders als Safran Foer, mithilfe gewisser Medien ein sattes Geschäft mit der Gewalt, auch wenn Klaus Theweleit sagte, er müsse so kunstlos sein, weil alles andere unerträglich sei. In 27 Länder sind die Rechte verkauft (der Berlin Verlag soll 450000 Euro gezahlt haben). Doch ein Buch, das das Monströse nur fett-penetrierend und eiskalt hinblättert, ein Roman, der die Kehle zum Erbrechen kitzelt, dann öde langweilig, larmoyant, das braucht man nun wirklich nicht. Ich bestreite, dass ich mir unterjubeln lassen muss, was Erschießung mit Erektion zu tun hat, wie Erhängten der Stuhlgang abgeht, die letzte Blasenentleerung die Hose färbt.
Mag Littell "die Sprache der Henker erfunden" haben (Lanzmann/Altwegg im Marginalienband). Aber will ich die wirklich kennen? Hannah Arendt ist in ihrer "Banalität des Bösen" dem Grauen Hitlers und dem von Mördern wie Eichmann viel näher gekommen. Und dafür musste sie kein Gedärm auftischen. Fazit: Dieses Buch ist überflüssig, weil zu keiner Zeit lesbar.
Werdegang Littell entstammt einer jüdischen Familie mit osteuropäischen Wurzeln, die nach Amerika auswanderte. Er wurde am 10.Oktober 1967 in New York geboren. Sein Vater war Autor von Spionagethrillern. Littell studierte in Yale und ist seit 2007 französischer Staatsbürger. Er übersetzte Genet und de Sade ins Englische und arbeitete länger in Bosnien, Serbien und Tschetschenien für "Aktion gegen den Hunger". Er lebt er mit Frau und zwei Kindern in Barcelona.
TV "Die Wohlgesinnten. Auf den Spuren eines literarischen Phänomens." Donnerstag, 22.40 Uhr, Arte. Mit Michel Friedman, Claude Lanzmann, Antoine Gallimard und Christian Berkel.