Literatur: Zuerst brannten die Bücher
In Solingen eröffnet das Zentrum der verfolgten Künste in Europa. Das Museum Baden präsentiert mit „Die verbrannten Dichter“ die Sammlung Serke.
<strong>Solingen. "Und als ich wiederkam, da kam ich nicht wieder", zog Alfred Döblin resigniert sein Fazit, als er 1946 aus dem Exil zurückkehrte. Fuß fassen konnte er in Westdeutschland nicht mehr. Mascha Kaléko, in die USA emigriert, schrieb: "Als ich Europa wiedersah, kamen mir die Tränen." Ein kurzes Comeback war der Jüdin in Deutschland beschieden - das zu Ende war, als sie es ablehnte, den Fontanepreis aus der Hand eines einstigen SS-Mannes entgegenzunehmen. Andere, obwohl in der deutschen Literatur präsent, kehrten nicht zurück. Erich Fried blieb in London, Paul Celan ging nach Paris "und selbst Thomas Mann ließ die Schweizer Grenze zwischen sich und Deutschland", sagt Jürgen Serke. Seine Sammlung der verfolgten Literatur wird ab Sonntag im Museum Baden in Solingen unter dem Titel "Himmel und Hölle zwischen 1918 und 1989" präsentiert. Seit 2004 ist im Museum Baden bereits die Sammlung Schneider beheimatet, die sich den während der Nazi-Zeit verfemten und verfolgten Malern widmet. Damit gibt es unter dem Dach des Kunstmuseums Solingen das erste Zentrum der verfolgten Künste in Europa.
Die Besucher treten mit den Schriftstellern in einen Dialog
Auf 2500 Quadratmetern wird in die deutsche Literatur des Widerstandes und des Exils von 1933 bis 1945 geführt, in die verfemte Malerei und Fotografie. Mit der Ausstellung "Die verbrannten Dichter" wird 75 Jahre nach den Bücherverbrennungen von 1933 realisiert, was 1994 mit dem Stiftungs-Aufruf für ein "Zentrum der verfolgten Künste" begonnen hat, initiiert von der Wuppertaler Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft und dem Pen-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland (London). Dabei handelt es sich nicht um eine Bücherschau. Die Ausstellungsmacher legen den Schwerpunkt darauf, dass die Besucher mit den Schriftstellern in einen Dialog treten - die Opfer des Nationalsozialismus auf diese Art zurück ins Leben holen. Handschriften, Manuskripte, Erstausgaben, Fotos und erläuternde Texte setzen sich mosaikartig zusammen, lassen Leben, Zeitumstände und Schicksal des Einzelnen lebendig werden. Zusammengenommen ist es eine erschütternde Übersicht über die Auswirkungen der gnadenlosen NS-Verfolgungs- und Vernichtungsmaschinerie. Beispielhaft mögen drei Schriftsteller dafür stehen, die Serke "die drei von Czernowitz" nennt: Paul Celan, Rose Ausländer und Selma Meerbaum-Eisinger. Czernowitz, bis 1918 nordöstlichster Zipfel des Habsburger Reiches, dann rumänisch und seit Ende des Zweiten Weltkrieges ukrainisch, war ein Schmelztiegel intellektueller Strömungen, in denen sich die gebildeten Juden, Deutschen, Rumänen und Ukrainer für die junge Literatur begeisterten: von Benn bis Brecht, von Trakl bis Lasker-Schüler. Diesem fruchtbaren Umfeld entstammen "die drei von Czernowitz" - die jeder auf seine Weise durch die Hölle gehen mussten. Mit 18 Jahren starb Selma Meerbaum-Eisinger 1942 in demselben SS-Lager, in dem auch Celans Eltern ihr Leben verloren. Paul Celan, heute unbestritten einer der größten Lyriker des katastrophischen 20.Jahrhunderts, überstand die Lager, wurde mehrfach in psychiatrischen Kliniken behandelt und starb 1970 vermutlich durch eigene Hand. Rose Ausländer überlebte in einem Kellerversteck im Czernowitzer Ghetto. Über die USA kam sie nach Düsseldorf, lebte zuletzt in selbstgewählter Isolation. Jürgen Serke besuchte sie 1977: "Sie schluckt 30 Tabletten am Tag, ist voller Chemie und schreibt zarteste Natur- und Liebeslyrik." Elf Jahre später starb Ausländer im Alter von 87 Jahren. "Und du, der alles weiß, lässt es geschehen - und sendest nicht ein Heer von Engeln?", schrieb die Dichterin. Jürgen SerkeSammler Jürgen Serke, geboren 1938 in Landsberg/Warthe, war von 1961 bis 1969 bei der Nachrichtenagentur UPI in Frankfurt tätig. 1970 bis 1983 arbeitete er als Autor beim "Stern", 1984 bis 89 für die "Weltwoche" und 1990 bis 1992 bei der "Welt". Er hat die bedeutendste Sammlung über verfolgte deutschsprachige Literatur zusammengetragen.
Ausstellung "Himmel und Hölle zwischen 1918 und 1989. Die verbrannten Dichter", Kunstmuseum Solingen/Museum Baden, Wuppertaler Straße 160, Solingen. Eröffnung: 30. März, 11.30 Uhr. Öffnungszeiten: di. bis so. 10 bis 17 Uhr