Charlotte Roche: Erforschungen des Körpers
Charlotte Roches Roman „Feuchtgebiete“ berauscht sich an Tabubrüchen. Ekel als Verkaufsargument oder Kampf gegen übertriebene Hygiene?
Düsseldorf. Charlotte Roche ist erst 29 Jahre alt, aber schon Kult. Vor allem jüngeren Fernsehzuschauern steht ihr Name für Originalität und Witz; mit ihrer alternativen Musikshow "Fast Forward" auf Viva2 sammelte die unangepasste Moderatorin jede Menge Sympathien; sie erhielt den Grimme- und den Bayerischen Fernsehpreis.
Nachdem ihre Sendung abgesetzt war, spielte sie in dem Kinofilm "Eden" die Hauptrolle, sprach Hörbücher und moderierte weitere Shows. An Talenten ist Charlotte Roche also nicht arm - den Ruhm als Roman-Autorin hätte sie nicht gebraucht. Sie hat aber ein Buch geschrieben, und kein Mensch würde sich freiwillig damit befassen, wenn die Verfasserin nicht so bekannt wäre. Das Buch heißt "Feuchtgebiete", und nach der Lektüre wünscht man sich, es gäbe Warn-Aufkleber für Bücher, so wie sie bei CDs seit Jahren üblich sind: Achtung, der Inhalt ist obszön. Nichts für Kinder und zartere Gemüter.
Roche wird bald dreißig, sie hat eine fünfjährige Tochter, und sie hat einiges erlebt. Dem "Focus" erzählte sie, dass sie sich als junges Mädchen "geritzt" habe. Und 2001 hatte sie ein wohl traumatisches Erlebnis: Ihre drei Brüder verunglückten auf dem Weg zu ihrer Hochzeit tödlich. In der Woche darauf soll ein Journalist, der sich als "Bild"-Mitarbeiter vorstellte, versucht haben, sie um ein Interview zu erpressen - mit einem Foto, das sie lachend zeigte. "Bild" bestreitet, mit der Angelegenheit etwas zu tun zu haben; doch seither ist das Blatt Roches Intimfeind, gegen den sie sich öffentlich einsetzt.
Diese etwas schräge, jedenfalls nicht uninteressante Frau, deren Unterhaltungsfaktor zwischen vorlaut und erfrischend schwankt, hat nun also einen Roman geschrieben. Doch wer danach greift, weil er Roche als Moderatorin gut fand, wird mindestens enttäuscht und ziemlich sicher abgestoßen. "Feuchtgebiete" handelt von "Pimmel, Muschi und Aua. Das interessiert uns doch alle", erklärte die Autorin dem "Playboy".
Die Handlung: Die 18-jährige Helen schneidet sich beim Rasieren ihrer Körperhaare in die Hämorrhoiden, kommt ins Krankenhaus und will dort so lange wie möglich bleiben. Sie hofft, dass ihre geschiedenen Eltern am Krankenbett wieder zusammenfinden. Sie züchtet Avocados auf der Fensterbank, verdreht dem Pfleger den Kopf, sinniert über ihre wilde Vergangenheit. Der Rest des Romans aber geht unter in Blut, Schmodder, Erbrochenem und Körperflüssigkeiten. Auf die detaillierte Wiedergabe soll hier verzichtet werden - auch auf die nähere Beschreibung, womit Helen auf öffentlichen Toiletten die Klobrille abwischt.
Manches ist auf bizarre Art lustig. Meist aber überwiegt der Impuls, das Buch weit weg zu werfen und für zwei Stunden zu duschen. Es ist kein Zufall, dass zur Veröffentlichung viele Interviews mit Roche erschienen sind, aber sehr wenige Rezensionen. Dabei hat sie eine eindeutige Aussage: Es geht um Hygiene, oder vielmehr um das, was Roche den "Hygienekult" nennt. Dem "Playboy" sagte sie: "Es macht mich rasend, wenn ich im Drogeriemarkt sehe, wie die Abteilung Intimwaschlotion immer größer wird."
Das ist ein schöner Ansatz, der auf ungefähr zweitausend andere Arten besser umzusetzen gewesen wäre. Es irritiert allerdings, dass Helen von der Überall-Rasur schwärmt. Dass sich die Befreiung des weiblichen Körpers auf seine Behaarung erstreckt, ist Feminismus von vorgestern. Der Autorin ist das übrigens klar - im "Spiegel"-Interview sagte sie dazu: "Ich hätte gerne, dass es auf Frauen einen weniger großen Druck gibt, sich komplett zu enthaaren. Frauen rasieren sich aus vorauseilendem Gehorsam. Ich glaube, dass sogar Männer für ein paar weibliche Schamhaare ganz dankbar wären, weil sie ja mit Frauen, nicht mit Kindern schlafen wollen." Da ist offenbar mit der Ironie im Roman etwas schiefgegangen.
Charlotte Roche: "Feuchtgebiete", DuMont Verlag, Köln, 220S., 14,90 Euro