Pérez-Reverte: Die Welt hat aus der Krise nichts gelernt

Berlin (dpa) - Eigentlich sei er ein Seemann, der zufällig auch Romane schreibe, sagt der spanische Bestseller-Autor Arturo Pérez-Reverte (61). Als solcher hat der passionierte Segler, langjährige Kriegsreporter und scharfzüngige Kolumnist inzwischen fast 30 Bücher herausgebracht.

In seinem jüngsten auf Deutsch erschienenen Werk „Dreimal im Leben“ geht es um Tango und Liebe, in Spanien erscheint demnächst sein neuer Roman „El francotirador paciente“ (Der geduldige Heckenschütze), der die Welt der Graffiti-Sprayer beleuchtet. Im dpa-Interview äußert sich der Autor („Der Club Dumas“) zu Krise, Literatur und Twitter.

Frage: Hat die Wirtschaftskrise auch einen positiven Effekt?

Antwort: Diese Krise hätte eine Lektion sein können. Man hätte sagen können: Wir überdenken unsere sozialen, menschlichen und kulturellen Strukturen, um uns der Realität dieser Welt anzupassen. Aber ich fürchte, wir denken immer noch, dass diese Krise ein Unfall ist und wir danach zu den glücklichen Zeiten von damals zurückkehren werden. Ich vermute, dass wir nach der Krise genau das tun werden, was wir davor gemacht haben: uns zu verschulden.

Frage: Hat Spanien keinerlei Lektion gelernt?

Antwort: Weder Spanien noch Deutschland. Die wirtschaftliche Lage Deutschlands ist gut, aber auch Deutschland wird eine Krise erleben. Wenn es keine wirtschaftliche ist, dann eine soziale oder politische. Das mag noch 5, 10, 20, 50 oder 100 Jahre dauern. Es geht nicht um ein Problem Spaniens, Griechenlands oder Italiens. Es ist ein gemeinschaftliches Problem, ein Problem der westlichen Welt.

Frage: Gibt es eine Lösung?

Antwort: Bildung ist die Lösung. Je mehr Kultur es gibt, desto größer sind auch der Scharfsinn, der kritische Geist und die Fähigkeit, sich zu schützen. Aber da wir in einem zunehmend ungebildeten Europa leben, sind wir wie Geiseln. Europa wird von einer Gruppe technokratischer Analphabeten in Brüssel regiert, die den Sinn für die Realität verloren hat.

Frage: Könnte die Krise einen Roman inspirieren?

Antwort: Nein, zumindest keinen von mir. Für mich ist die Welt schon immer in der Krise und schon immer ein gefährlicher Ort gewesen. Ich wusste, dass Sarajevo, Beirut oder El Salvador auch Madrid, Paris oder Berlin sein könnten. Hier hatten wir es bloß vergessen.

Frage: In „Dreimal im Leben“ spielt Tango eine zentrale Rolle...

Antwort: Der Tango scheint ein Macho-Tanz zu sein. Aber wenn man ihn sich genau anschaut, merkt man, dass es eigentlich die Frau ist, die ein Spinnennetz um den Mann herum webt. Die Frau ist intellektuell überlegen, ohne Zweifel. Der zustimmende Blick einer überlegenen Frau ist das größte Geschenk, das ein Mann erwarten kann. Darum geht es in diesem Roman.

Frage: Ihre Leser erkennen viele Konstanten in Ihren Büchern...

Antwort: Ich bin als Autor kohärent. Seit 30 Jahren schreibe ich den gleichen Roman. Es ist wie ein Haus mit vielen Zimmern. Jeder Roman richtet eines dieser Zimmer ein. Stück für Stück festigen die Romane mein persönliches Territorium, die Welt, die mich interessiert. Sie ist das Resultat eines langen Lebens voller Reisen, gelesener Bücher und Erlebnissen. Deshalb haben die Geschichten für meine Leser immer etwas Familiäres.

Frage: Fast 750 000 Menschen folgen Ihnen auf Twitter. Sind Sie ein Fan sozialer Netzwerke?

Antwort: Nein. Ich nutze Twitter einmal die Woche. Am Sonntagabend setze ich mich drei Stunden hin und twittere ohne Pause. Danach höre ich bis zur nächsten Woche auf. Ich bekomme viele Leserbriefe, die ich nicht beantworten kann. Ich benutze Twitter, um mit meinen Lesern zu kommunizieren und mein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Ansonsten benutze ich ein altes Handy, das nur zum Telefonieren taugt, und reise ohne Internet und ohne Computer. Ich versuche, mich so weit wie möglich von den neuen Technologien fernzuhalten. Sie bringen mir nichts außer Abhängigkeiten, die ich nicht haben will.

(Arturo Pérez-Reverte: Dreimal im Leben. Insel Verlag, Berlin, 525 Seiten, 22,95 Euro, ISBN 978-3-458-17580-3)