Roman "Casper": Ein lebenslanger bedrohlicher Schatten

Dirk Wittenborn erzählt die Geschichte einer Familie, die unter einem Alptraum leidet.

Düsseldorf. Kann man Gefühle synthetisch herstellen? Kann man Glück durch eine Pille verordnen? In den 50er Jahren hielt man das für möglich. Der Amerikaner Dirk Wittenborn entführt in seinem neuen Roman "Casper" in die Pionierjahre der Psychopharmaka. Dr. William Friedrich ist Assistenzprofessor in Yale und entwickelt mit einer Kollegin aus einer exotischen Pflanze eine Substanz, die bewusstseinsverändernde Wirkung besitzen soll. Ein einsamer junger Mann, Casper, scheint die optimale Versuchsperson zu sein: überintelligent, aber depressiv und selbstmordgefährdet. Caspers Leben dreht sich mit der Droge um 180 Grad, doch damit kommt der Student nicht klar - und wird zum Mörder. Ein Schatten, der Friedrichs Leben begleiten wird. Denn eigentlich erzählt der Roman eine Familiengeschichte, die des Wissenschaftlers und seiner kinderreichen Familie. Detailliert und lebendig schildert Wittenborn alle Familienmitglieder und begleitet die vier Kinder von den ersten Stunden bis ins Erwachsenenalter. Der jüngste Sohn Zach, der auch teilweise als Ich-Erzähler auftritt, steht im Mittelpunkt des anrührenden Romans. Er wird erst geboren, nachdem Casper schon in einer Irrenanstalt einsitzt. Trotzdem fühlt er sich, als habe er "drei Eltern, einen Vater, eine Mutter und einen Mörder". Er leidet unter diesem kollektiven Familienalptraum, der sich auch darin ausdrückt, dass die Eltern ganz nah zusammengerückt sind und für die Kinder wenig Platz bleibt. Was ist verrückt, was normal? Darüber herrscht in der durch den Psychologie-Patriarchen dominierten Familie eine große Sensibilität. Jeder zweifelt an sich, sucht erste Anzeichen nach einer Ver-rücktheit, die wie bei Casper in einem geschlossenen Heim enden könnte. Am Ende kommt Zach tatsächlich auf die schiefe Bahn. Dirk Wittenborn beweist wie schon in seinem grandiosen Debütroman "Unter Wilden" (2003) seine erzählerischen Qualitäten; besonders in Kinderpsychen kann er sich gut eindenken. Neben der Zeichnung der Figuren gelingt ihm auch ein treffliches Porträt einer Zeit und eines gesellschaftlichen Wandels von den 50er Jahren bis in die schnelllebigen 90er Jahre. Nur die unentschlossene Erzählhaltung macht dem Leser etwas zu schaffen. Der Roman beginnt mit einem Ich-Erzähler, wechselt zur Er- und später wieder zur Ich-Erzählung, was nicht wirklich nachvollziehbar wird.

Dirk Wittenborn, "Casper", Dumont Verlag, 477 S., 22,90 Euro