Wladimir Kaminer: Schreiben ist wie Pilzesuchen
Der Autor Wladimir Kaminer findet seinen Beruf leicht und das Leben an sich schwierig.
Sie haben in elf Jahren 17 Bücher veröffentlicht und absolvieren rund 200 Lesungen im Jahr. Da stellt sich die praktische Frage: Wann und wo schreiben Sie?
Kaminer: Schreiben ist wie Pilzesuchen: Man muss sich Mühe geben, man muss suchen, man muss sich beugen. Aber wenn man den Pilz einmal hat, ist es egal, wo man ihn isst. Ich muss nur erst einmal eine Geschichte haben — schreiben kann ich überall, egal ob im Zug oder im Hotel. Aber ich sehe mich in erster Linie als reisenden Geschichtenerzähler. Die Bücher sind nur sekundär wichtig, als Beleg, dass ich mich nicht im luftfreien Raum bewege, als Lebensnachweise.
Sie haben Dramaturgie studiert, in Moskau und anfangs in Berlin auch am Theater gearbeitet. Reizt es Sie nicht, mal ein Bühnenstück zu schreiben?
Kaminer: Ich habe ein paar kleine Theaterstücke geschrieben, aber ich versuche mit allen Kräften, der Kunstebene zu entkommen. Es braucht diese Bühne nicht, um Menschen mit auf eine Reise zu nehmen. Ich bekomme auch viele Einladungen von Kabarettisten. Aber ich möchte bei ihnen nicht mitmachen, weil die Menschen nicht das sind, was sie darstellen — und das wäre für meine Geschichten todbringend. Ich möchte ich selbst bleiben.
Sind Freunde und Familienmitglieder Ihnen gegenüber nicht befangen, weil sie befürchten müssen, im nächsten Buch aufzutauchen?
Kaminer: Die meisten freuen sich. Sie kommen ja auch gut weg. Nur eine Tante von mir hat sich mal geärgert, weil sie danach so häufig angesprochen wurde. Deshalb durfte ich nichts mehr über sie schreiben. Nun, so ist der Welt ein großer Tantenroman verloren gegangen, aber wir sind trotzdem Freunde geblieben.
Das Goethe-Institut und das Auswärtige Amt verpflichten sie häufig für Veranstaltungen im Ausland. Dort gelten Sie dann als Botschafter der deutschen Kultur. Fühlen Sie sich selbst auch so?
Kaminer: Ich finde es ziemlich unterhaltsam, dass ich auch in dieser Rolle die Welt bereisen darf. Ich bin ja in der schizophrenen Lage, dass ich mal als deutscher Schriftsteller russischer Abstammung, mal als russischer Schriftsteller, mal als jüdischer Schriftsteller einsortiert werde. Mir ist das alles recht. Ich versuche nur, hinter diese Klischees zu schauen und herauszufinden, was die Leute damit wollen. Aber das ist nicht einfach zu verstehen.
Was macht es denn so schwierig?
Kaminer: Normalerweise verbringt man sein Leben damit, sich mit seinen Eltern, seinen Kindern und sich selbst auseinanderzusetzen. Aber in dieser globalisierten Welt muss man plötzlich mit so vielen Leuten reden, damit überhaupt etwas funktioniert. Das ist anstrengend, das ist kompliziert. Sehen Sie nur das Debakel mit dem Atomausstieg. Selbst wenn Deutschland aussteigt, bringt das gar nichts. Deutschland ist umzingelt von Atomkraftwerken.
Sie haben schon über Schrebergärten und Schulalltag geschrieben. Was bringt Sie nach 20 Jahren in Deutschland noch zum Staunen?
Kaminer: Die Zukunft des Landes ist spannend, weil sie so ungewiss ist. In Russland ist klar — entweder es bewegt sich auf Europa zu oder es bleibt in dem jetzigen Übergangsstadium zurück. Aber in Deutschland und der EU müssen die Leute einen neuen Zusammenhalt entwickeln. Es gibt immer neue Fragen wie: Werden die Schwachen in der EU weiter gemobbt? Die Menschen sehen noch nicht, wie das in den neuen Grenzen und mit der neuen Verantwortung gehen sollen.
2006 haben Sie in einem Interview angekündigt, 2011 zur Wahl des Regierenden Bürgermeisters von Berlin anzutreten. Ist das noch aktuell?
Kaminer: Ich habe das als provokanten Vorschlag gemeint, um die politische Szene zu beleben. Aber ich kann als Schriftsteller und engagierter Bürger eigentlich mehr erreichen. Ein Bürgermeister ist doch sehr an seinen politischen Kontext gebunden.