Ballett: Beschwingt und überfordert

Premiere: Choreograf Martin Schläpfer bringt mit „b.05“ vier Ballette an einem Abend auf die Bühne.

Düsseldorf. Dieser Mann kann nur Meisterliches. In "b.05" vereint der Düsseldorfer Ballettchef Martin Schläpfer zum Abschluss der Spielzeit drei seiner Schlüsselwerke - allesamt große Choreografenkunst. Der Abend zeigt den Schweizer ebenso heiter wie melancholisch, tiefsinnig wie intellektuell. Er beglückt, beschwingt, begeistert und - (über-)fordert. Denn ein jubelnder Zuschauersaal sieht anders aus.

"Pezzi und Tänze" (2008) markiert gleich zu Beginn den Höhepunkt von "b.05". Zu drei Stücken für Sopransaxophon von Giancinto Scelsi und 15 Walzern für Violine und Gitarre von Franz Schubert ersinnt Schläpfer getanzte Mini-Dramen wie sie origineller und schöner nicht sein können.

Hier zeigt er sich auf Augenhöhe mit seinem Vorbild Hans van Manen. Da irrt ein junger Mann (Maksat Sydykov) über die Bühne, als hätte sein Körper, nicht sein Geist die Kontrolle über ihn. Widerwillig stolpert und taumelt er, wippt trotzig, als kämpfe er gegen sich selbst. Dann ein Duett, das in wenigen Minuten eine Liebesgeschichte erzählt, vom ersten Glücksmoment bis zum zittrigen Abgang der Greise ins schwarze Nichts. Schläpfer hat sie der quirligen Yuko Kato und dem ruhigen Jörg Weinöhl auf den Leib choreografiert.

Eine bewegende Präziose ist auch das kleine Ligeti-Solo "Ramifications" (2005). Der Tanzschöpfer kreierte es für die großartige Solistin Marlùcia do Amaral. Auch hier wird ein ganzes Leben - vom schillernden Dasein bis zum Tod - gezeichnet.

Einen Kontrast zur abstrakten Brillianz setzte die Argentinierin Teresa Rotemberg mit der Uraufführung "Irreversible" zu Klaviermusiken von John Cage und Herbert Henck. Sie pfercht die Tänzer in kleine, über vier Etagen gebaute Käfige - ein Setzkasten für Menschen: Die einen kauern, andere stehen Kopf, wieder andere liegen lang, was trotz der beengten Situation komisch wirkt. In seinen fleischfarbenen Trikots, einige mit roten Stoff-Flicken, wirkt das Ensemble geschlechtslos, wesenhaft.

Als der Kasten umstürzt, genießen einige die Bewegungsfreiheit, andere blicken ihrer alten Behausung, die in den Bühnenhimmel entschwindet, sehnsüchtig nach. Eine lustvoll-groteske Parabel zwischen Tragik und Komik auf die Fähigkeit zur Veränderung der Kreatur.

Nach der Pause wieder ein Geniestreich: Das Ballett "3" weist Martin Schläpfer als Epigonen George Balanchines aus, der den Neo-Klassizismus ins 21. Jahrhundert überführt. Mit seinem akademischen, kriegerischen Duktus erinnert es an "Agon", gibt sich aber kühler, aggressiver und fasziniert mit seiner Bewegungsintelligenz.

Im elektro-akustischen Raum von Paul Pavey, der im Hintergrund zu seinen vorproduzierten, phasenweise nervenden Klangflächen live Cellotöne einspielt, entwirft Schläpfer eine geheimnisvolle Welt zwischen Erinnerung und Vision. Ein Szenario, so als hätten sich virtuelle Krieger nachts in ein Museum verirrt: Lichtkegel heben in dem halbdunklen Raum voller Bilderrahmen und einem Blumengemälde Fragmente von Tänzen hervor.

Wenn die Ovationen am Ende ausblieben, dann weil die Dramaturgie des Abends nicht stimmte. Werke wie "3" (oder "Neither" in "b.04") sind allein musikalisch eine Herausforderung. Und vier Ballette an einem Abend schlicht zuviel.