Castorf für Insider: „Baumeister Solness“ in Berlin
Berlin (dpa) - Frank Castorf macht bei der Inszenierung von Henrik Ibsens 1893 uraufgeführtem Stück „Baumeister Solness“, was er oft und gern macht: Er verwandelt das düstere Drama in eine aufgekratzte Boulevard-Komödie.
Es darf gelacht werden. Das Lachen allerdings verdeckt die angestrebte Kapitalismus-Kritik nicht. Castorf nutzt die Geschichte von dem Bauherrn, der für seine Karriere über Leichen geht, um gegenwärtige Auswüchse der ganz auf materiellen Profit ausgerichteten bürgerlichen Gesellschaft zu attackieren.
Satire, Slapstick und Schauspielkunst sind das A und O des umjubelten vierstündigen Abends an der Volksbühne Berlin. Marc Hosemann in der Titelrolle führt ein exzellentes Darstellerensemble an. Neben ihm brilliert Kathrin Angerer als junge Frau namens Hilde. Ihr Erscheinen im Hause Solness führt dazu, dass der schöne Schein, in dem sich die Familie sonnt, zerbricht. Daraus folgt Solness' Fall. Sein mörderisches Karrierestreben hat tödliche Folgen.
Setzen viele Regisseure bei diesem Klassiker des modernen Theaters auf tiefes Psychologisieren, viel Gefühl und verhaltene Töne, so hauen Castorf und sein Team fröhlich auf die Spaß-Pauke. Da ist in der von Bühnenbildner Bert Neumann gebauten Wohnkulisse mit unzähligen Türen und Schubladen ebenso Raum und Zeit für Anspielungen auf bekannte Popsongs, populäre Comic-Figuren und Fernsehserien. Nahezu unentwegt flimmert im Hause Solness etwa die TV-Krankenhaus-Serie „In aller Freundschaft“ über einen Mini-Bildschirm.
Wesentlicher für die Aufführung ist allerdings das Motto „Gerichtstag halten über sein eigenes Ich“, eine Zeile aus einem kurzen Vers von Ibsen. Frank Castorf lässt die Akteure Gericht über seine eigene Arbeit halten. Immer wieder wird in Dialogen auf ihn verwiesen, auf die Frage, wer wohl sein Nachfolger als Intendant wird. Zudem sitzen in der ersten Reihe im Parkett lebensgroße Puppen, die alle aussehen wie der Schauspieler Henry Hübchen, („Sonnenallee“, Alles auf Zucker!“).
Hübchen war der wichtigste Wegbegleiter von Frank Castorf in den 1990er Jahren. Wenn nun immer wieder Hübchen-Puppen auf die Bühne gezerrt, malträtiert und gemartert werden, wirkt das, als wolle Castorf mit einer Art Voodoo die eigene Erfolgsgeschichte infragestellen und die damit verbundenen Geister der Vergangenheit austreiben. So lustig das ist, so problematisch ist es auch: Theaterbesucher, die in der Geschichte der Berliner Volksbühne nicht so sehr bewandert sind, können viele Anspielungen und Gags nicht verstehen.
Je länger die Inszenierung dauert und je intensiver sie den Mythos Castorf ankratzt, umso mehr wird sie zur Veranstaltung für Insider. Die Premiere war offenkundig vor allem von Castorf- und Volksbühnen-Fans besucht. Schon während der Vorstellung gab es Beifall und heftiges Gelächter. Am Schluss wurden Frank Castorf, Bert Neumann und die Schauspieler frenetisch gefeiert. Es gab minutenlangen starken Beifall, viele Bravorufe und lautstarken Jubel.