Eine Dalila mit schwarzen Dessous und Strapsen
Die vor der Premiere umstrittene Inszenierung von Tilman Knabe war ein großer Wurf.
Köln. Es war eine schwere Geburt. Regisseur Tilman Knabes Versuch, die 3000 Jahre alte Geschichte des bärenstarken Gottesmannes Samson aus dem Alten Testament in die Gegenwart zu holen, umgesetzt vom französischen Komponisten Camille Saint-Saens in der Oper "Samson und Dalila", stieß zunächst auf Widerstand. Krankmeldungen und Verschiebung der Premiere waren die Folge. Doch die Premiere wurde zum großen Wurf.
Israel, Gaza, Hebron heißen die Schauplätze der Handlung. Auf der Bühne (Beatrix von Pilgrim) die 30 Meter hohe Mauer im Westjordanland. Aber sie ist durchbrochen, die Elemente stehen wie ein Mahnmal im Raum. Klagende Opfer am Boden. Granat- und Bombeneinschläge zucken durch die rauchgeschwängerte Luft. Mal sind es die Israeliten, mal die Philister (Palästinenser), die obsiegen. Wer an der Macht ist, werden die Gegner geschändet, vergewaltigt, gemetzelt.
Knabe schildert eine düstere, auswegslose Welt. Aus dem brutalen, zum Alltag gewordenen Geschehen ragt die Figur des Samson heraus. Er stellt die Verbindung zu den Göttern dar, die auf beiden Seiten die Grausamkeiten legitimieren. Der israelische "Gott der Schlachten" verleiht Samson unbesiegbare Kraft, solange er sich nach religiösem Brauch seine Haare nicht scheren lässt.
Die verführerische Dalila aus dem Gegenlager entlockt ihm sein Geheimnis, schneidet seinen Zopf ab, lässt ihn blenden und verhöhnt ihn vorm Volk. Samson sieht nur noch den Ausweg, die Feinde mit einem Selbstmordattentat in die Luft zu sprengen.
Der Wohllaut der Musik von Camille Saint-Saëns steht konträr zu der düsteren Weltsicht. Zunächst als Oratorium geplant, sind erster und dritter Akt Chorwerke, in denen das israelische Volk um Erlösung fleht oder die Gegner wilde Bacchanale feiern. Bachsche Fugen, orientalische Melodien und Leitmotive im Stile Wagners werden integriert. Der zweite Akt mit dem berühmten "Mon coeur s’ouvre à ta voix" behauptet sich grandios neben Liebesduetten von Verdi oder der Tristanmusik.
Enrico Delamboye zelebriert die Partitur mit großem Atem. Das Gürzenich-Orchester folgt in Höchstform seiner fast fieberhaften Interpretation. Chor und Extrachor sind nicht nur gesanglich, sondern auch darstellerisch Protagonisten. Desgleichen auch die Mitglieder der Statisterie, die als Kriegsopfer malträtiert werden.
Den Hauptfiguren wurde nicht weniger abverlangt. Dalila muss als Edelprostituierte mit schwarzen Dessous und Strapsen Samson in die Falle locken. Ursula Hesse von den Steinen sparte nicht mit ihren Reizen. Da sie stimmlich noch indisponiert war, sang Irina Mishura die Partie von der Seite. Ihr warmer Mezzo ließ das Haus erbeben.
Dem Sog dieser beiden Frauen konnte man nicht widerstehen. Ray M. Wade jr. behauptete sich mit leuchtender Strahlkraft daneben und deutete den Samson nicht als Held, sondern als einen eher hilflosen Spielball der Mächte. Elgis Silins war ihm als Oberpriester ein wuchtiger, verschlagener Gegner.
Wie brisant sich Musiktheater einmischen kann, bewies die Reaktion des Publikums, in der frenetische Bravorufe auf lautstarke Buhs stießen.
Dauer: 2 Std. o. Pause, Auff.: 13., 16., 23., 29., 31. Mai; 11., 14., 20., 25., 28. Juni, Karten: 0221/22128400