Schauspielerin und Aktivistin Eine starke Frau: Leena Alam kämpft gegen die Angst
Bad Hersfeld (dpa) - Die Schrecken der Vergangenheit sitzen offenbar tief. Leena Alam sitzt in einem Hotel-Restaurant im beschaulichen Bad Hersfeld. Die Schauspielerin aus Afghanistan, die in dieser Saison in einer Nebenrolle ihr Debüt bei den Theater-Festspielen in der osthessischen Stadt gegeben hat, erzählt von ihrer Arbeit.
Als plötzlich draußen ein lauter Knall ertönt, zuckt sie zusammen und schaut irritiert aus dem Fenster. Wahrscheinlich war es nur ein zugeschlagenes Tor. Oder sonst ein lauter Schlag von etwas Umgefallenem. Doch es reicht, um Alams sanftmütigen Gesichtsausdruck in Besorgnis erstarren und ihre Augen wandern zu lassen.
Leena Alam wirkt eigentlich nicht wie ein nervöses Nervenbündel. Ihr eilt der Ruf voraus, eine starke und mutige Frau zu sein. In ihrer Heimat ist sie ein Star. Doch was sie erlebt hat, würde wohl bei dem hartgesottensten Menschen Spuren hinterlassen. Die Schauspielerin musste in jungen Jahren in ihrer von Krieg und Terror erschütterten Heimat schon oft um ihr Leben bangen. Und bei einem Sprengstoff-Anschlag eines Selbstmord-Attentäters wäre sie 2014 in der afghanischen Hauptstadt Kabul fast mit in den Tod gerissen worden.
Leena Alam ist eine preisgekrönte Kino-, TV- und Theaterschauspielerin. Doch sie ist mehr als eine schöne und erfolgreiche Aktrice. Sie ist eine Menschenrechtsaktivistin, die sich für Frauenrechte, gegen Kinderheirat und soziale Ungerechtigkeit in Afghanistan engagiert. Die einen lieben sie für ihre kritische Haltung gegenüber den ultrakonservativen Wertvorstellungen der afghanischen Gesellschaft. Andere verachten die Frauenrechtlerin für die ihrer Meinung nach aufrührerische Haltung. „Für Manche bin ich eine Schande“, sagte sie.
Regisseur Robert Schuster wurde auf die mutige Schauspielerin aufmerksam, die mit ihren Rollen Tabus in ihrer Heimat bricht. Der Berliner wollte mit ihr zusammenarbeiten und verpflichtete sie für die diesjährige Produktion „Peer Gynt“, mit der die Festspiele im Juli eröffnet wurden. „Ungewöhnlich, dass ich in solch einem europäischen Klassiker mitspielen durfte. Ich bin sehr dankbar. Es ist eine wunderbare Erfahrung“, sagt Alam.
Auf der Freilichtbühne in der Stiftsruine wirkt sie bei ihren Auftritten geheimnisvoll. Sie singt ein Lied in Farsi und spricht ihre Texte in der Rolle der Solveig und Peer Gynts Geliebten auf Englisch. Doch hier in Deutschland und auch in ihrer Wahlheimat Kalifornien, wo sie seit einem Jahr wieder lebt, kann sie Schauspielerin sein. Mit Leib, Seele und Leidenschaft. „In Afghanistan hat man höchste Schwierigkeiten, als Schauspielerin akzeptiert zu werden. Erst recht, wenn man nicht den konservativen Rollenbildern entspricht.“
Alam berichtet davon, dass Frauen in Afghanistan weit verbreitet als Menschen zweiter Klasse gelten. Sie würden nicht selten schon als Mädchen ohne Mitspracherecht verheiratet. Dann hätten sie sich um die Familie zu kümmern und dem Mann untertänig zu dienen. All diese Erfahrungen haben Alam nach eigenen Worten veranlasst, die Unterdrückung anzuprangern. Mit ihren Mitteln als Schauspielerin. Zu sehen ist dies in der feministischen Dramaserie „Sheeren“, die 2015/2016 im afghanischen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Darin kämpft sie als Gerichtsbeamtin gegen Zwangsehe, Gewalt gegen Frauen, Korruption und einiges mehr. Nicht alle fanden das gut. Sie bekam Morddrohungen.
In „The Killing of Farkhunda“ spielte sie im Jahr 2015 bei einer Aufführung in Kabul eine junge Frau, die gelyncht wurde, weil sie angeblich einen Koran verbrannt hat. Die Story beruht auf einer wahren Begebenheit. Alam selbst wurde Zeugin, wie ein gewalttätiger Mob fanatischer Männer die angebliche Koranschänderin totschlug, mit Benzin übergoss und verbrannte. „Ich war schockiert, dass so etwas möglich ist. Etliche Menschen haben zugeschaut. Und die Regierung hat danach nicht wirklich viel unternommen, um den Fall aufzuarbeiten.“
Am 11. Dezember 2014 gerät auch Alam in Lebensgefahr. Sie besucht die Premiere eines Theaterstücks über Selbstmordanschläge im französischen Kulturzentrum in Kabul. Dort sprengt sich ein junger Attentäter in die Luft. „Ich dachte für einen Moment, es gehört zur Performance. Doch dann habe ich die Toten und Verletzten gesehen und bin raus gerannt.“ Diese Geschichte wird in dem Dokumentarfilm „True Warriors“ mit Leena Alam erzählt. Der Film stammt von den deutschen Regisseuren Niklas Schenck und Ronja von Wurmb-Seibel, die selbst eine Zeit lang in Kabul gelebt haben. Der Film ist in deutschen Kinos zu sehen. Im Juni wurde er bei Arte im Fernsehen gezeigt.
Leena Alam überlebt das Attentat mit Blessuren. Doch eingeschüchtert hat die Bombe die Schauspielerin auf ihrer Mission nicht. „Der Anschlag hat mich nur noch stärker gemacht“, sagt sie. Sie will weitere Filme drehen, die sich dem Missbrauch von Frauen widmen. „Das ist wichtig, damit Menschen darüber sprechen und ins Nachdenken kommen. TV und Theater sind mein Sprachrohr, um mich für Frauenrechte einzusetzen.“ Seit 2009 ist sie Friedensbotschafterin der Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA). Der „Süddeutschen Zeitung“ sagte sie: „Die Kunst ist die schönste Waffe. Sie bekämpft, ist aber nie verletzend.“
Der Bad Hersfelder Festspiel-Intendant Joern Hinkel ist beeindruckt von der mutigen und gleichzeitig sensiblen Frau: „Dass sie bereit ist, für ihre Kunst und die Botschaft, die sie vermitteln will, ihre Gesundheit, ja sogar ihr Leben aufs Spiel zu setzten, bewegt mich tief und ist für uns in Mitteleuropa heutzutage ja kaum nachzuvollziehen.“
Doch fühlt sich Leena Alam noch sicher, weil sie sich so viele Feinde gemacht hat? Ist sie sicher, wenn sie in Deutschland Theater spielt? Oder sich in ihrer Wahlheimat Kalifornien aufhält? Kann nicht auch dort der lange Arm fanatischer Extremisten sie töten? „Die Wanderin zwischen den Welten“ („Hessische/Niedersächsische Allgemeine“) sagt: „Es ist ein beklemmendes Gefühl. Die Angst ist mein ständiger Begleiter.“