Arena auf Schalke Wie Ed Sheerans Düsseldorfer Konzert in Gelsenkirchen gelaufen ist

Gelsenkirchen. Fast ganz am Ende, als das erste Set aus 18 Songs, das er treu und unverrückbar eingeprobt hat und nun abtourt, durchgespielt ist und nur noch die Zugaben „Shape of you“ und „You need me, I don't need you“ fehlen, kommt Ed Sheeran mit einem deutschen Fußball-WM-Trikot zurück auf die Bühne.

Der Musiker Ed Sheeran

Foto: Ennio Leanza

Was eine Woche nach dem Titel der Franzosen und so elendig lange nach dem gewaltigen deutschen Fußball-Desaster in Russland samt folgender Depression etwas sorglos ist. Aber irgendwie passt das zu diesem Abend von Ed Sheeran in der Gelsenkirchener Arena. Sorglos ist ein gutes Wort, und eigentlich ist es ja auch eine Qualität. Ein sorgloser Abend ist das, ein Entertainer mit wirklichen musikalischen Höhepunkten, bisweilen etwas belanglos, aber das wünscht man sich an einem Sonntagabend ja auch einmal, deshalb schauen ja auch so viele Tatort, während Sheeran hier singt: Man weiß, was man bekommt. Und genau das will man hier. 50.000 Menschen in der Arena wollen Sheeran pur.

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Einen günstigen Fummel hat er sich da ausgesucht, denkt man angesichts des runtergesetzten Trikots, wohl geizig der Brite, und dazu passen die Gedanken zu Beginn dieses Konzerts, als Sheeran, wie er da so allein steht auf der großen Bühne mit seiner Gitarre, sagt, er stehe hier zwar ziemlich allein, aber das sei nicht allein sein Konzert, sondern „wir alle zusammen machen es zu unserem Konzert, ihr seid meine Mitsänger, ein großer Chor“. Und dann kommt einem der Gedanke, dass das ja ein ganz günstiges Arrangement für ihn ist, wenn er tourt, alle Stadien und Arenen füllt bis auf den letzten Platz und niemand bei ihm ist auf der Bühne, den er noch bezahlen müsste. Weil Gitarre, Stimme und Loop-Station, mit der Sheeran immer zu Beginn seiner Songs fein eingewebt die verschiedenen Tonspuren einsingt, einschlägt oder einschrammelt - weil das alles ja nun offenbar auch reicht. Aber wahrscheinlich ist dieser Gedanke albern, Sheeran wird ziemlich wohlhabend sein, in den britischen Billboards besetzte er kürzlich erst die ersten fünf Plätze, alle Alben des fleißigen Musikanten brechen Rekorde, und er produziert so schnell nach, wie dieser Abend verläuft - also Sorgen müssen wir uns um ihn nicht machen. Und der Verzicht auf das alles, auf das große Arrangement mit Musikern, Chor und allem anderen Zipp und Zapp, das manchem seiner Songs an diesem Abend dann eben doch auch mal ganz gut getan hätte, ist eben weniger Geiz als Stolz und Qualität, und auch gelebte Professionalität. Seht her, ich, Ed Sheeran, geboren 1991 im britischen Halifax, schaffe es auch allein, eure Arenen zu bespielen, ganz gleich ob sie ein Feld in Essen, ein Parkplatz in Düsseldorf oder eine geschlossene Fußball-Arena auf Schalke sind. Ist das Hybris oder Coolness? Oder beides?

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Düsseldorf. Die Stadt bleibt ein Thema an diesem Abend, weil schon die „Trouble Corner“ am West-Eingang verraten, was hier alles schief gelaufen ist bis zu diesem musikalischen Moment. Am Flughafen in Essen konnte Sheeran wegen der Feldlerche nicht spielen, die man schützen wollte. In Düsseldorf wurde der Messe-Parkplatz mit seinen Bäumen vor dem Ansturm der Sheeran-Fans bewahrt, es ging also nach endloser Diskussion auch hier nicht. Und dann wurden aus einem riesigen Konzert in der Landeshauptstadt zwei Stadion-Abende in Gelsenkirchen mit jeweils 50000 Zuschauern. Viele von denen, die am Sonntagabend da sind, haben das alles mitgemacht, wären auch nach Essen oder Düsseldorf gefahren, aber jetzt stehen sie an diesen „Trouble Cornern“, die graue Container am Arena-Eingang sind, um ihrem Ärger Luft zu machen: Weil die Karten anders zugeteilt werden mussten - eine Arena ist eben kein freies Feld - hat mancher seinen Nebenmann verloren, Gruppen und Freunde, manchmal auch Pärchen, sind auseinander gerissen worden. Das will ja niemand, und deshalb wird hier getauscht, zurückerobert, es wird sich geärgert und sogar manche Träne vergossen. Wer immer entschieden hat, dass in Düsseldorf nichts geht, hätte sich hier an der Ecke des „Troubles“ mal immerhin ein schlechtes Gewissen abholen können, aber jetzt war es ja eh zu spät.

Ed Sheeran selbst dokumentierte dann ziemlich schnell, dass dieses ganze Hickhack nicht nur ein Sündenpfuhl unter Konzertmanagern und Politikern geblieben ist, sondern auch der Künstler selbst davon mitbekommen hat. „Dies ist das größte Düsseldorfer Konzert, das nie in Düsseldorf gespielt wurde“, ätzte der Brite, so ätzend er überhaupt sein kann, und dann lächelte er dabei so nett, als wollte er sagen: Sei es drum. Los geht’s. Dafür also die ganze Aufregung?

Im Publikum: Mädchen und Frauen, mindestens 75 Prozent. Dazu „Superdads und Freunde der Frauen“, sagt Sheeran selbst, weil er sein Publikum kennt und es feiert, wenn er die Superdads und die Freunde imitiert auf der Bühne, etwas verschroben dreinschaut und vor sich hin grummelt über diesen komischen Kerl mit den roten Haaren da auf der Bühne, der eigentlich zu teuer ist und nach dem Konzert uns alle in einen veritablen Verkehrsstau manövrieren wird, so ein Mist. Und dann schaut man sich um im Rund, und da stehen die Superdads und Supermoms, in der Mitte die Tochter, die alle Songs mitsingt, obwohl sie — und das ist eine Unterstellung — die meisten Texte überhaupt nicht verstehen kann, aber das war ja schon immer völlig egal in diesem Alter, und bei Ed Sheeran ist es das eben auch.

Er trägt ein blaues Shirt, das wird die Reminiszenz an den Gastgeber sein, Königsblau auf Schalke, so viel Dankbarkeit muss sein. „Hoax“ steht darauf geschrieben, was eine verbreitete Falschmeldung ist, aber was auch immer man da hinein zu interpretieren versucht, man wird wohl scheitern. Die zweite Ebene muss man bei diesem Konzert nicht suchen. Es ist alles handgemacht, direkt, „live“, wie Sheeran betont, er wieselt da rum auf der Bühne, völlig haltlos, das Ganze ist harte Arbeit für den 27-Jährigen, er trinkt Wasser als gäbe es kein Morgen mehr. Und er redet so schnell zwischen seinen Liedern, als habe er es etwas eilig. Sheeran lächelt viel, er ist gut gelaunt, aber er ist eben auch unfassbar professionell. Das Set schmeißt alle Hits in die Arena, wirklich alle, und das sind ja unfassbar viele, wenn man bedenkt, dass Sheeran vor sieben Jahren noch ein ziemlicher Nichts war und in Hamburg vor 100 Leuten gespielt hat, wie er das selbst erzählt. Und dann hätten sie ihm gesagt, in Deutschland müsse man nur immer weitermachen und immer weiter herkommen und singen, dann würde das immer größer, und so ist es also gekommen: Sheeran hat immer weitergemacht, produziert und gesungen, gesungen und produziert, und dann ist es immer größer geworden, und jetzt steht er zwei Abende nacheinander in: Gelsenkirchen, wobei Düsseldorf sicher auch ganz schön gewesen wäre, wegen der Luft. Freie Luft. Auf Schalke ist das Dach geschlossen. Ist das wirklich gut?

Er beginnt mit „Castle on the Hill“, spielt „Eraser“, Happier“, das nervige „Galway Girl“, das schöne „I See fire“, „Thinking out loud“, „Photograph“, „Perfect“ ein grandioses „Sing“, und das ist noch längst nicht alles. Und wenn er mal loslässt, dann singt das Publikum Zeile für Zeile mit. Nur mit dem loslassen tut Sheeran sich manchmal etwas schwer. Das ist die Kritik am Abend: Allein aufzutreten, schön und gut, aber dann ist da eben auch nur ganz wenig: Die markante Stimme hat schon auch mal das Potenzial zu nerven, und die ansehnliche Gitarrenleistung geht gelegentlich in ein ordentliches Geschrammel über, wenn über die verschiedenen Tonspuren mit demselben Instrument ganz erhebliche Dynamik erzeugt werden muss und soll. Das ist dann bisweilen auch etwas übersteuert, und genau das sind die Momente, in denen man denkt: Jetzt einige Musiker auf der Bühne, die nicht Ed Sheeran heißen, wäre jetzt auch nicht so schlecht. Und mal ein bisschen leiser!

Viele denken das nicht hier, da darf man sicher sein. Zwei Stunden lang orgelt sich der Brite durch das Programm, das um 18.30 Uhr mit Jamie Lawson beginnt und von Anne-Marie fortgesetzt wird, ehe gegen 20.30 Uhr Sheeran für gut zwei Stunden Musik pur übernimmt. Und das alles 46 mal seit diesem Mai, in Großbritannien waren sie, jetzt in Europa, es folgen der heutige Abend in Gelsenkirchen, dann Hamburg auf der Trabrennbahn (offen!) und München (wieder zweimal) im Stadion. Danach Schweiz, Österreich, Polen, USA und Südafrika noch in 2019. Das wird ganz schön anstrengend, aber Ed Sheeran ist ein Musikarbeiter, 2009, als er eben immer weiter spielen musste, um immer größer zu werden, hat er mal 312 Konzerte gegeben. Puh. Zwischendurch wird er auf dieser Tour sicher noch den einen oder anderen Hit schreiben und auch noch seine Freundin heiraten, so viel Zeit muss sein. Es sei denn, diese Kapelle in der Grafschaft Suffolk lässt sich nicht mehr bauen, Sheeran hatte das vor, er wollte das, aber dann wurde das politisch verhindert, die Kapelle, hieß es, passe nicht in das Landschaftsbild. Wahrscheinlich wird die Vermählung dann jetzt einfach woanders stattfinden, er kennt das ja, und wo es doch auch in „Thinking out loud“ so passend heißt: „Dass wir vielleicht Liebe genau dort gefunden haben, wo wir sind.“ Und die Hochzeitsgäste finden sich dann am „Trouble Corner“ ein. Und versuchen, wieder zusammenzukommen. Um das Glück des Ed Sheeran zu sehen. Manchmal ist alles eins.