„Das queere Leben steht gerade insgesamt unter Druck, das muss man schon so sagen“, sagt Gwendolyn Waniek. Sie ist gemeinsam mit David Nethen Vorsitzende und Gründerin des Vereins Kreis Queersen, der sich für die Belange von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans-, inter- und asexuellen sowie non-binären Menschen im Kreis Viersen einsetzt. Kurz: für queere Leute. Den Begriff finden beide gut, denn er differenziere nicht zwischen Identitäten.
Zwar hat das Bündnis aus Union und SPD vor wenigen Tagen festgehalten, dass es sich weiterhin verpflichtet, queeres Leben vor Diskriminierung zu schützen.
„Es muss für alle Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung selbstverständlich sein, gleichberechtigt, diskriminierungs- und gewaltfrei leben zu können“, heißt es etwa im Koalitionsvertrag. „Dazu wollen wir mit entsprechenden Maßnahmen das Bewusstsein schaffen, sensibilisieren und den Zusammenhalt und das Miteinander stärken.“ Doch über das Selbstbestimmungsgesetz, das erst im vergangenen Jahr in Kraft getreten ist, soll offenbar erneut beraten werden.
Es sei schlimm, dass die Große Koalition dieses erneut in Frage stelle, sagt Nethen, der sich wie Waniek auch bei Bündnis 90/Die Grünen engagiert. „Mit dem Selbstbestimmungsgesetz waren wir noch längst nicht am Ziel, aber wir haben in den letzten Jahrzehnten so viel erreicht. Dieses Fundament droht jetzt zu bröckeln“, sagt er.
Der Kreis Queersen möchte ein sicherer Ort für seine Mitglieder und Gäste sein, ein „safe space“. Er bietet die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen queeren Menschen ins Restaurant, ins Kino oder zum offenen Stammtisch zu gehen. „Es gibt Leute, die sind bei uns im Verein geoutet, bei sich in ihrem eigenen Umfeld aber nicht“, sagt Waniek. Gerne hätten sie und Nethen zum Thema Selbstbestimmungsgesetz eine Transperson zu Wort kommen lassen – aber das würde bedeuten, dass diese sich öffentlich outen und gleichzeitig dem Hass der Öffentlichkeit ausliefern müsste. Und dieser sei real.
Im Videoportal Tiktok, in dem sich Waniek für queere Rechte einsetzt, sei ihr vom Tod bis zur Gruppenvergewaltigung schon alles angedroht worden, erzählt sie. „Eigentlich ist es schlimm, wie schnell man abstumpft“, sagt sie. „Aber ich kämpfe lieber für unsere Rechte, statt mich darauf auszuruhen wie Alice Weidel. Jeden Tag werden Transpersonen getötet.“ Am Ende des Tages sei das auch der Grund dafür, dass es den Verein Kreis Queersen gibt, sagt Nethen. Mit Hass seien leicht Stimmen zu bekommen. Der große Zulauf, den die AfD bekommt, bereitet beiden Sorge.
„Die AfD-Bundestagsfraktion wird darauf hinwirken, das ideologische sogenannte Selbstbestimmungsgesetz unverzüglich abzuschaffen“, heißt es etwa von deren familienpolitischem Sprecher Martin Reichardt. Nethen mag „gar nicht darüber nachdenken“, was das für Betroffene bedeuten würde – er rechnet aber damit, dass eine Flut von Klagen folgen würde.
Unabhängig von den Entwicklungen auf Bundesebene engagiert sich der Verein auch für Menschen im Kreisgebiet. Im vergangenen Jahr fand der erste Christopher Street Day (CSD) in Viersen statt, in diesem Jahr sei einer in Nettetal geplant. „Gerade haben viele Transpersonen Existenzängste“, sagt Nethen, der wie Waniek durch seine frühere Arbeit im Schuldienst die Nöte queerer Jugendlicher aus nächster Nähe kennt. „Wir haben uns gefragt: Wie lösen wir das lokal?“ Wer beim CSD mitlaufen und mitfeiern will, muss sich im Anmeldeformular daher zum Selbstbestimmungsgesetz, zur Ehe für alle und zur Gleichstellung bekennen. „Wir verbieten nicht, sondern wir machen es andersherum“, erkärt Nethen. „Alle sind eingeladen, solange sie mit den Werten des CSD übereinstimmen.“ Das gelte auch für Unternehmen, Institutionen und andere Vereine, die auf der Veranstaltung präsent sind. „Veränderungen sind eben anstrengend“, fügt Waniek im Hinblick auf Pronomen an, mit denen viele sich schwertun. „Aber irgendwann ist es ganz leicht.“