Joseph Roths „Hiob“ fasziniert in Hamburg

Hamburg (dpa) - Fremdsein auf Erden, Mangel an Liebe und Glaubensverlust in unruhiger, leidvoller Zeit - davon erzählt Joseph Roth in seinem 1930 erschienenen, bis heute viel gelesenen Roman „Hiob“.

Dessen Titelhelden, einem armen, konservativ frommen Ostjuden, nimmt das Schicksal Familie, Heimat, Beruf, so dass er schließlich Gott lästert und sich von ihm abwendet. Doch am Ende der Geschichte, die auf einem zentralen Text des Alten Testaments beruht, erlebt dieser Mendel Singer ein Wunder. Mit einer archaisch einfachen Version des „Hiob“ zieht nun Regisseur Klaus Schumacher am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg das Publikum in den Bann.

Spürbar hochkonzentriert folgten die Zuschauer bei der Premiere am Samstagabend der Bühnenfassung von Koen Tachelet. Nach zweieinhalb Stunden gab es für Schumacher und sein Ensemble viel Beifall. Großes Schauspielertheater ohne Regiemätzchen, eine geistig existenzielle Thematik in klarer, eindringlicher Form - damit überzeugt hier das interimsweise von Florian Vogel und Jack Kurfess geleitete Schauspielhaus. In jüngerer Zeit hatte das Haus oft eher durch Finanz- und Führungskrisen Aufmerksamkeit erregt.

Alles wirkt wie in Aufruhr, als der Abend beginnt. Nervöse Klänge zurren durch die Luft. Der gewölbte, safrangelbe Boden, der an das Erdenrund erinnert, kreist unaufhörlich - damit auch die Handvoll Menschen, die auf ihm stehen (Bühne: Karin Plötzky). An der schwankenden Lampe hängt ein kranker Knabe (Martin Wißner), er fällt herunter. „Gliederzucken“, diagnostiziert ein Arzt (Erik Schäffler). Am Rande der Szene sitzt, völlig ungerührt, auf einem Stapel Holz ein schwarz gekleideter Mann (Michael Prelle) und studiert die Bibel: Mendel Singer. Unerschütterlich erscheint die Glaubensgewissheit des Lehrers, der von sich sagt: „Ich bin ein ganz gewöhnlicher, alltäglicher Jude.“

Dabei wirkt der Mann aber auch fundamentalistisch beschränkt in seiner Weltsicht - die den Horizont verdeckende Wand im Hintergrund deutet es an. Gottergeben will Singer etwa seinen jüngsten Sohn nicht medizinisch behandeln lassen. Für den Lebenshunger seiner erwachsenen Kinder (Julia Nachtmann, Stephan Schad, Stefan Haschke) zeigt er so wenig Verständnis wie für seine Frau (Marlen Diekhoff), deren Körper er nicht mehr begehrt. Erst nach dem Verlust seiner Heimat und seiner Familie, als er sich mutterseelenallein im kapitalistischen Amerika durchschlägt, bricht er mit seinem Herrn im Himmel: „Mehr als sechzig Jahre war ich verrückt, jetzt bin ich es nicht mehr. Der Teufel ist gütiger als Gott.“

Bei sparsamster Gestik und Mimik verkörpert Prelle den erst wie aus Holz geschnitzten, dann erschütterten Bewahrer alter Werte, dem am Schluss Wundersames widerfährt. Singer lernt es, als Mensch unter Menschen zu leben, deren Liebe und die Gottes zu spüren. Wie selbstverständlich transportiert Schumacher, sonst erfolgreicher Leiter der Jugendsparte des Schauspielhauses, die Zeitlosigkeit der Geschichte Roths durch die Wahl märchenhaft simpler Theatermittel. Ihre Aktualität spricht für sich. In einem Interview hatte der 1965 geborene Regisseur zuvor sinniert: „Mit Milchkaffeeschlürfen im Szenecafé kommen wir nicht sehr weit. Uns fehlt ein spiritueller Überbau.“