Kehlmann-Uraufführung: Spuk mit Witz und Scharfsinn
Graz (dpa) - „Du überschätzt Raum und Zeit“, sagt er, und sie versteht die Welt nicht mehr. Für sie haben Raum und Zeit doch sehr konkrete Bedeutung, mitten in der Mongolei, mitten auf der Flucht aus Österreich in die USA, in einem kafkaesken Verhör an einer gottverlassenen Bahnstation.
Sie ist die Tänzerin Adele Porkert, er, das ist der Mathematiker Kurt Gödel. Absurd und komisch, erschütternd und erhellend gibt der österreichisch-deutsche Schriftsteller Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) in seinem ersten Theaterstück „Geister in Princeton“ einen Einblick in die verrückt faszinierende Weltsicht des Wissenschaftlers.
Schauspieldirektorin Anna Badora stellt die scharfsinnige Tragikomödie in der Uraufführung am Samstag in Graz als vielschichtiges Vexierbild um Raum und Zeit auf die Bühne. Sie setzt den Text geradlinig und genau um, und kann sich dabei auf ein sehr präzise agierendes Ensemble mit Johannes Silberschneider als Gödel sowie Steffi Krautz und Swintha Gersthofer als Adele in verschiedenen Lebensaltern verlassen.
Eine Trauerfeier mit wenigen Gästen - und keiner scheint den Toten wirklich zu kennen. „Ich weiß sehr wenig“, gibt sogar seine Frau zu. Doch dabei könnten sie ihn noch fragen - steht er doch neben ihnen und sieht dem Geschehen zu. Und noch einmal ist er da, als kleiner Junge, ganz weit im Hintergrund der Bühne. Es spukt, alles doppelt und spiegelt sich allerorten in dieser Inszenierung, leichte Verschiebungen im Detail irritieren zusätzlich.
Gödel in verschiedenen Lebensaltern gleichzeitig auf der Bühne: mit diesem Kunstgriff illustriert Kehlmann die Vorstellung Gödels von der Bedeutungslosigkeit unseres Zeitbegriffs. Einer der schärfsten Denker aller Zeiten glaubt an Gespenster - für Autor Kehlmann war das ein wesentlicher Ansatzpunkt für sein Stück, wie er in einem Interview sagte. Beide Motive greift Regisseurin Badora mit Bühnenbildner Raimund Orfeo Voigt auf: Zwischen realem Geschehen und Illusion steht nur eine Glaswand, die auch als Projektionsfläche für abstrakte kurze Zwischenspiele dient.
In jenen Momenten, wo die Diskussionen namhafter Wissenschaftler anklingen, erinnert das Stück an Schnitzlers „Professor Bernardi“, lässt dann wieder an „In der Sache Oppenheimer“ oder „Die Physiker“ denken. Doch anders als in Schnitzlers Gelehrtendrama ist die Wiener Wissenschafts- und Intellektuellenszene hier nur eine Station in Gödels Weg. Und im Gegensatz zu Heinar Kipphardt oder Max Frisch rückt der 36-jährige Kehlmann kein wissenschaftlich- moralisches Dilemma ins Zentrum des Stücks, sondern interessiert sich für Biografie und Persönlichkeit seiner Hauptfigur.
Die beleuchtet er in kurzen, schlaglichtartigen Szenen und skizziert ein bei aller Fantasie schlüssiges Bild. Knapp illustriert er auch die Zeitumstände vom Geistesleben in der Wiener Zwischenkriegszeit über den aufkommenden Nationalsozialismus, die persönliche Gefährdung bis hin zur Flucht in die USA und die Begegnung mit Albert Einstein.
Er greift aus der Lebensgeschichte des Denkers wesentliche Momente heraus und schafft eine theatertaugliche Erzählstruktur. Badoras respektvolle Inszenierung hält sich an die Vorlage, folgt dem doppelbödigen Witz des Stücks und macht die Uraufführung zu einem runden Theaterabend, der vom Premierenpublikum mit großem Applaus aufgenommen wurde.