Langsam denken, hurtig handeln
Junges Schauspiel inszeniert herausragendes Kinderbuch.
Düsseldorf. "Schwachkopf", das Wort hat Rico schon zu oft gehört. Passanten, Nachbarn, andere Kinder - sie alle sind mit ihrem Urteil nicht zimperlich. Aber Rico wehrt sich: "Ich bin ein tiefbegabtes Kind. Das bedeutet, ich kann zwar sehr viel denken, aber das dauert meistens etwas länger als bei anderen Leuten."
Mit wie viel Tempo und Witz Rico sogar eine Kindesentführung aufdecken kann, zeigt das Junge Schauspielhaus in Düsseldorf. René Schubert hat das 2008 erschienene und preisgekrönte Kinderbuch von Andreas Steinhöfel auf die Bühne gebracht. Die Inszenierung bewegt sich sicher auf dem schmalen Grat des Mitgefühls, das niemals in herabblickendes Mitleid rutscht.
Wenn Rico (Christof Seeger-Zurmühlen) auch nicht auf Anhieb versteht, was geschieht, so ist sein Interesse für die Menschen um ihn herum groß. Sein Kosmos ist das Mietshaus, bei jedem weiß er, was los ist. Wie etwa bei Frau Dahling (Insa Jebens), die Depressionen hat. Rico sammelt solche Begriffe: "Eine Depression ist, wenn all deine Gefühle im Rollstuhl sitzen. Sie haben keine Arme mehr, und es ist leider gerade niemand zum Schieben da."
Im Flur trifft er Oskar (Philipp Grimm), der seinen Sturzhelm niemals absetzt. Er ist hochbegabt und ängstlich, rattert Statistiken runter, wie, wo und wie viele Kinder in Gefahr sind. Als Oskar verschwindet, muss Rico sich mächtig anstrengen mit dem Denken.
Auf zwei Bühnen-Ebenen spielen die Darsteller, rasen Treppen hoch, springen in die Tiefe und durchschreiten, wenn es gerade passt, Wände. Es ist die Stärke dieser Inszenierung, dass sie das Theaterspiel offen legt. Auch der Musiker im Erdgeschoss, der unter anderem mit einer singenden Säge für den Sound sorgt, existiert zugleich in als auch außerhalb der erfundenen Welt. Und die Kinder im Publikum können seiner Doppelrolle ebenso mühelos folgen wie Rico, dem Tiefbegabten.