Technik für die leisen Töne
Schauspieler tragen zunehmend Mini-Mikrofone. Pessimisten beklagen schon den Verfall der Sprechkultur.
Düsseldorf. Sie sehen aus wie Hautpickel mit Stromleitung, kleben den Darstellern auf Stirn oder Wange, und man bemerkt sie meist erst, wenn sie nicht funktionieren. Mikroports gehören heute zum Schauspieleralltag und beschleunigen den Vormarsch der Technik im Theater.
Die Bühne als Bollwerk der Live-Ästhetik - das war einmal. Die Aufrüstung bei Bühnentechnik und Licht ist selbstverständlich. Das Audiodesign, dessen sich die Industrie schon lange bedient, wird zunehmend auch für die Theaterregisseure zum willkommenen künstlerischen Ausdrucksmedium.
Doch wenn Regisseure wie Tina Lanik in ihrer Dramatisierung von Emile Zolas Roman "Geld" in Düsseldorf die Stimmen ihrer Darsteller verstärken, sehen Kulturpessimisten sofort die Sprechkultur in Gefahr. Man lästert über Stimmbandschwächlinge, die nur mittels Technik verständlich über die Rampe kommen, und beschwört den Untergang des Bühnenabendlandes.
Toleriert wird allenfalls die Verkabelung von Freiluft-Veranstaltungen. Historische Tonaufnahmen belegen allerdings, dass sich die Sprechkultur auf der Bühne seit 100 Jahren komplett verändert hat. Wie im Alltag ist das große Pathos out und Natürlichkeit in. Mikroports helfen dieser Intimität des Sprechens technisch auf die Sprünge. Beim Flüstern auf der Bühne gewinnen Dialoge eine verblüffende Vertrautheit und Alltäglichkeit des Tons.
Noch gut erinnert man sich an die zarten Szenen in Andreas Kriegenburgs "Kabale und Liebe"-Inszenierung im Düsseldorfer Großen Haus. Doch die technischen Möglichkeiten stellen auch unserer Wahrnehmung in Frage. Durch die digitale Soundbearbeitung verliert das Wort seine primäre Funktion als Sinnvermittler - wichtiger als die Bedeutung wird der Klang.
Ein zweites Paradigma geht dabei gleich mit über die Wupper, nämlich dass Stimme und Körper ein Einheit bilden müssen. Die Stimme kann sich mittels Technik sogar von ihrem Träger frei machen und auch vom Akt des Sprechens entkoppeln - die Verortung in Raum und Zeit wird zum Spielmaterial. Was Philosophie, Psychoanalyse und Literatur längst durchgehechelt haben, vollzieht die Bühne mit Hilfe der Mikroports nach: Die Stimme löst sich vom Subjekt.
Letztlich hat der Einsatz von Mikroports auf der Bühne nichts mit der Kompensation von Defiziten zu tun, sondern spiegelt eine gesellschaftliche Entwicklung wider, die zwischen Authentizität, Technisierung der Lebensbereiche und Erprobung künstlerischer Ausdruckmöglichkeiten changiert.
Dass die Bundesregierung kürzlich die Mobilfunkfrequenzen verscherbelt hat, die die Theater bisher für ihre Mikroports benutzt haben, mag die Fetischisten natürlichen Bühnensprechens freuen. Den Einsatz der neuen Technik wird es nicht verhindern.