Martin Wuttke schreit und tobt als „Der Geizige“
Berlin (dpa) - Erst „Der eingebildete Kranke“, dann selber krank und jetzt mit Molières „Der Geizige“ auf der Bühne: Martin Wuttke (50) setzt sein Mammutprogramm fort.
Am Donnerstagabend schrie und tobte der Schauspieler als alter Geizkragen an der Berliner Volksbühne - Fernsehzuschauer kennen ihn aus dem „Tatort“ in Leipzig. Viereinhalb lange Stunden dauerte die Aufführung, inszeniert von Frank Castorf. Eigentlich sollte die Premiere schon am vergangenen Freitag sein. Doch die wurde in letzter Minute abgesagt, weil Wuttke auf dem Weg zur Vorstellung gesundheitliche Probleme bekam und zum Arzt musste.
„Du siehst klasse aus, du siehst auch so gesund aus, so wie das blühende Leben“, sagt Heiratsvermittlerin Frosine (Kathrin Angerer) irgendwann zu Wuttke, der - sich sehr verausgabend - den geizigen Harpagon spielt. Es hätte auch eine Anspielung auf Wuttkes Genesung nach der kurzen Zwangspause sein können. Richtig gesund sieht der 50-Jährige allerdings nicht aus. Müde, abgespannt und tief zerfurcht ist sein Gesicht. Auch eine Schramme ist zu sehen.
Dennoch spielt Wuttke unglaublich vital und überzeugt mit seiner Darstellung des geizigen Tyranns: Er hüpft wie Rumpelstilzchen und klettert die Bühnenwände hoch, rotzt mehrfach in weitem Bogen gen Publikum, raucht und steigt vor laufender Kamera sogar in die gefüllte Badewanne. Als Vatermonster knechtet er seine Kinder Cléante und Élise: Seine Geldkassette ist ihm wichtiger als ihr Liebesglück. Er träumt vielmehr selber von wilden sexuellen Abenteuern.
Castorfs Inszenierung löst unterschiedliche Reaktionen aus. Am Ende erhalten die Schauspieler langen Beifall, auch zwischendurch haben sie die Lacher auf ihrer Seite. Nicht nur Wuttke erregt Heiterkeit, auch Franz Beil als Sohn Cléante, Lilith Stangenberg als Tochter Élise und Maximilian Brauer als der von Elise geliebte Valère. Kurz vor Mitternacht verlassen aber auch zahlreiche Zuschauer vorzeitig das eigentlich ausverkaufte Theater. War ihnen die Aufführung zu lang oder konnten sie die Fäkaliensprache, die zeitweise dominierte, nur schwer ertragen?
Anspielungen gibt es auf Wuttkes Fernsehleben in Leipzig. „Kaum vorstellbar, dass ein Tatortkommissar so überzeugend geizig sein“, halten ihm seine Mitstreiter auf der Bühne vor. Und gegen Ende des Stückes schreit der alte Geizhals: „...und wenn ich mein Geld nicht wieder bekomme, werde ich Kommissar.“
Wie schon beim „Eingebildeten Kranken“ Anfang Juni hängt in der Volksbühne beim zweiten Molière-Stück ein rot-weiß-gestreifter Vorhang: „zum totlachen!“ steht darauf. Darüber thront wieder ein giftgrünes Skelett. Auch das Bühnenbild ist erneut die etwas plüschige Volkstheaterstube von Bert Neumann.
Das Spektakel „Der Geizige“ von Castorf ist Teil zwei einer Molière-Trilogie an der Volksbühne. Es folgt noch René Polleschs Version von „Don Juan“. Den Auftakt mit dem „Eingebildeten Kranken“ hatte Wuttke selbst inszeniert. Auch da spielte er die Hauptrolle. Ende Mai stand er beim Berliner Theatertreffen in der „Platonov“-Inszenierung des Burgtheaters Wien auf der Bühne - ebenfalls in der Titelrolle.