„Melancholia“: Nürnberger Ballett bejubelt
Nürnberg (dpa) - Melancholie steht für Schwermut, grüblerischen Trübsinn und Trauer; sie wird aber auch mit Genialität, Kreativität und Erotik in Verbindung gebracht. Beide Seiten hat das Ballett des Staatstheaters Nürnberg am Samstagabend in einer umjubelten Premiere in vielen Facetten ausgeleuchtet.
„Melancholia“ verbindet die von Nacho Duato geschaffene Choreographie „Por vos muero“ („Ich sterbe für Euch“) und das erstmals gezeigte Werk „Black Bile - Schwarze Galle“ des Nürnberger Ballettdirektors Goyo Montero.
Der Spanier Duato, der im Sommer die Intendanz des Staatstheaters Berlin übernehmen wird, zeigt in seinem 1996 in Madrid uraufgeführten Stück eher die künstlerisch-poetische Seite der Melancholie. Dazu greift er auf die spanische Renaissance zurück - eine Epoche, in der die gesellschaftlichen Regeln noch strikt waren, aber das Individuum und die Genialität entdeckt wurden.
Der Tanz war damals ein fundamentaler Teil des Lebens, des Alltags ebenso wie besonderer Anlässe. Duato macht sowohl bei Bühnenbild als auch bei den Kostümen Anleihen beim 15. und 16. Jahrhundert, greift höfische Ballszenen ebenso auf wie rituelle Anlässe - samt Weihrauch schwenkenden Priestern.
Zu überlieferten Volksliedern und Tänzen nutzt Duato die klassische Formensprache, verbindet sie aber mit Elementen des modernen Tanzes. Weite Sprünge, hohe Hebungen, lang gestreckte Arme und Beine werden im nächsten Moment kontrastiert von angewinkelten Gliedmaßen und in sich zusammensackenden Körpern. Eine ungewohnte, technisch anspruchsvolle Aufgabe für das Ensemble, das auf die moderne Bewegungswelt Monteros eingeschworen ist.
Im zweiten Teil des Abends kehren die Tänzerinnen und Tänzer auf vertrautes Terrain zurück und drücken mit ihren Körpern ungezählte Emotionen aus. Montero hatte sich bei seinem jüngsten Werk von der Viersäftelehre des Altertums beeinflussen lassen; demnach ist Melancholie Folge eines Überschusses an schwarzer Galle. Neben Schmerz, Nachdenklichkeit und Wehmut wurden ihr auch Kreativität, Wahnsinn und Verrücktheit zugeschrieben.
Monteros Choreographie changiert deshalb zwischen Höhenflügen und bodenloser Verzweiflung. Dazu nutzt er erneut ein ausgefeiltes, mit Olaf Lundt erarbeitetes Lichtkonzept: Die schwarze Bühne wird nur selten von einem fahlen Licht ganz erleuchtet, oft folgen den Tänzern gezielt einzelne Scheinwerfer. In der Dunkelheit jenseits des Spotlights formiert sich das Ensemble immer wieder um, überrascht mit neuen Bildern.
Die Bühne (Eva Adler) ist nicht leer, sondern wird von schwarzen Kuben dominiert, die neu arrangiert, zu einem Podest, einer Schräge oder einer Rampe umgebaut werden. Die Tänzer bewegen sich in allen Ebenen, die Horizontale als Orientierungspunkt ist aufgehoben, das Aufbäumen wird oft genug konterkariert durch ein Abrutschen oder einen Sturz ins Bodenlose.
Dennoch ist längst nicht alles düster und verzweifelt, Montero zeigt Nähe ebenso wie Zärtlichkeit und Liebe. Doch alle Hoffnung bleibt fragil: Als ein Paar in inniger Umarmung geborgen nebeneinander liegt, gibt der Boden unter ihm nach, es stürzt in die Dunkelheit.
Unterstützt wird die Atmosphäre von den eindringlichen Liedern des englischen Lautenisten John Dowland (1563-1626), die von Wehmut und Schmerz durchzogen sind. Die Musik - immer wieder durchbrochen von absoluter Stille - endet mit einem Ausatmen. Die Bühne ist zu diesem Zeitpunkt leer, der Vorhang fällt ins Dunkle. Am Premierenabend folgte daraufhin Jubel und ausdauernder Applaus des Publikums.