Mit angezogener Bremse
Am Mittwoch zeigt die ARD den biografischen Film „Mein Leben“ über Marcel Reich-Ranicki.
Düsseldorf. Es muss für ein komödiantisches Volltemperament wie ihn eine Qual gewesen sein, sich einen ganzen Film lang zurückzunehmen, wie mit angezogener Handbremse zu fahren, sich aller großen Ausbrüche und Aktionen enthalten zu müssen.
Aber Schauspieler Matthias Schweighöfer widerspricht: "Nein, dadurch lernt man viel, und von unserem Regisseur Dror Zahavi war es richtig, mich zu bremsen, wenn mal aus mir das Schwein herausbrechen wollte." Wir sprechen über seinen Film "Marcel Reich-Ranicki: Mein Leben", der am Mittwoch bei der ARD läuft.
Schweighöfer, schon der Schiller, der "rote" Fliegerbaron Richthofen, ist der junge polnische Jude Marceli Reich, den die Eltern in den 30ern nach Berlin schicken, ins "Land der Kultur", wo er ein makelloses Deutsch lernt. Akzent samt markantem Lispler kommt erst viel später.
Der Junge vernarrt sich in Literatur, sie wird sein seelischer Rettungsring. Literatur, von Karl May bis Dostojewski und immer wieder Thomas Mann, begleitet ihn durch sein gesamtes weiteres Leben: Ausweisung, Rückkehr nach Polen, Krieg, Ghetto, Verfolgung, die Nachkriegsjahre bis zum Wechsel ins Wirtschaftswunderland anno ’58. Dort endet der Film. "Ich gehöre zur Mauerfall-Generation," nickt der 27-Jährige.
MRR, der Großkritiker. Der Grass- und Walser-Verreißer mit dem gebieterisch fuchtelnden Oberlehrer-Zeigefinger und dem ausgeprägten Show-Talent bis hin zur Preisverweigerung im Fernsehen. Der war dem Schauspieler natürlich ein Begriff. Dann saß er ihm ein erstes Mal in seiner Frankfurter Wohnung bei Eierkuchen mit Quark und Zimt gegenüber, "ein Essen meiner Kindheit, toll".
Man kam sich näher. Nicht allzu nahe, dafür war die Zeit zu kurz. Ein bisschen mehr noch als der Meister beeindruckte ihn dessen Frau Tosia, im Film von Katharina Schüttler gespielt: "Eine kleine Diva, mit sehr großem Herzen. Und wenn es so eine Frau mehr als sechzig Jahre mit diesem sicher sehr schwierigen Mann aushält..."
Sie hatten Schweighöfer zum Abschied ein Buch geschenkt, einen Band mit Kästner-Gedichten. Tosia hatte sie in finsterster Zeit für ihren Mann abgeschrieben, sie noch eigens illustriert: "Das sind dann wohl die kleinen Gesten, die zwei Menschen über Jahrzehnte hin zusammenschweißen." Sein Blick war währenddessen hin zu Marcel Reich-Ranicki gegangen. Wie bewegt sich der Mann, wie blickt er?
Keine Kopie, um Himmels willen! Die hatte er auf keinen Fall liefern wollen, hat auch nicht groß Maske gemacht. Das Blondhaar nun schwarz, eine Brille übergestülpt. Schweighöfer wird so der leicht linkische, scheu blickende junge Jude. Eine Szene ging ihm dabei besonders unter die Haut. Wie ihn gegen Schluss ein russischer Soldat in seinem Versteck aufstört: "Jude?"
Schweighöfer: "Man muss sich das vorstellen: ,Jude’ hieß über Jahre hin ,Tod’ und jetzt plötzlich ,Rettung’..." Geschichte war da für ihn keine Geschichte mehr gewesen, fern und abgelegt, sondern hautnahe Gegenwart. Und es ist wohl doch besser - er seufzt ein wenig - allen Krisen und Misslichkeiten zum Trotz in dieser Zeit heute zu leben als damals in jener so bitterbösen.
Die Rolle des Reich-Ranicki sei ein Geschenk gewesen. Wie schon vor vier Jahren die Titelrolle als Schiller. Damals war er, gerade über zwanzig, noch recht anders gewesen, übersprudelnd, ein bisschen maßlos, den Kopf leicht eingezogen, als renne er jederzeit gegen die nächstbeste Wand: "Meine Traumrolle bei Schiller? Na, die Maria Stuart.." Und wen würde er am liebsten in "Kabale und Liebe" spielen? Den edlen Ferdinand, den miesen Wurm oder den lächerlichen Kalb? "Alle drei natürlich."
Er wirkt inzwischen ruhiger, würde vielleicht nicht mehr wie damals noch bei vierzig Fieber auf die Bühne gehen, mit dem Freudenjuchzer dabei: "Jetzt macht es erst richtig Spaß. Na ja, ich werde älter." Und Vater wird er auch, so in zwei Monaten von seiner langjährigen Gefährtin Anni Schromm, "keine Schauspielerin, zum Glück".
In die Vorfreude mischt sich schon das Gefühl der Verantwortung, "unserem Kind einmal die richtigen Werte zu vermitteln". Und Verantwortung hat er auch für die Produktionsfirma, an der er beteiligt ist, "um der Selbständigkeit und größeren künstlerischen Freiheit willen."
Die hatte schon am "Roten Baron" mitproduziert, und jetzt basteln sie dort an einem Stoff, von dem Schweighöfer nichts verraten will. Nur so viel: "Den Tipp dazu habe ich von Marcel Reich-Ranicki bekommen."