Nichts als Unglück im trauten Heim
Constanze Becker spielt in Recklinghausen Ibsens Hedda Gabler.
Recklinghausen. Trautes Heim, Glück allein - das neue Zuhause der Familie Tesman/Gabler ähnelt eher einem Provisorium für Frischluftfanatiker. Ein grünes Sofa steht mitten im (echten!) Schnee, der sich wirkungsvoll von der Nachtschwärze abhebt. Rotglühende Neonröhren hängen als Heizstrahler über der Szene (Bühne: Cora Saller) und sollen Wärme spenden. Doch wenn die weiße Pracht schmilzt, bleibt die Temperatur unterkühlt.
Die 27-jährige Regisseurin Alice Buddeberg schiebt Ibsens "Hedda Gabler", die als Koproduktion des neuen Frankfurter Schauspiels mit den Ruhrfestspielen jetzt ihre Vorpremiere in Recklinghausen erlebte, von Beginn an ins emotionale Tiefkühlfach. Hedda fläzt sich als Unterrockdiva auf dem Sofa und führt Tesman an der Leine ihres Sarkasmus. Isaak Dentler spielt ihn als puerilen Kobold in braunem Pullover mit weißer Hose, der vor Freude auf dem Polster herumhopst, völlig ausrastet, als er vom Wettbewerb mit Lövborg um die Professorenstelle erfährt und später eine kleine Büchermauer baut.
Eine Schneeballschlacht mit Brack und Hedda gerät zum Moment kindlicher Ausgelassenheit dreier Menschen, für die erotisches Laissez-faire Alltag ist. Hier haben alle miteinander geschlafen, sagt die Regie, alle Figuren beobachten sich gegenseitig, Tabus sind out.
So arbeitet’ der lauernd freundliche Amtsgerichtsrat Brack (Thomas Huber) auf eine menage à trois im Haus Tesman hin, während sein Herrenabend, bei dem Heddas Ex-Lover Lövborg sein Buch-Manuskript verliert, eine transvestitische Lustbarkeit mit Männern in Pelzmänteln und Stöckelschuhen ist.
Wo erotische Grenzüberschreitungen Legion sind, wirkt Heddas Angst vor einem Skandal indes unglaubwürdig. Dennoch gelingt Constanze Becker eine virtuos brüchige Figurengestaltung. Wie sie von Dämmer zu erotischem Sturmangriff auf die blasse Frau Elvsted (Bettina Hoppe) übergeht, von Ironie in kindliche Koketterie verfällt oder ruppigen Realsinn durch gleißenden Sarkasmus ersetzt, das ist sehenswert.
Was sie allerdings an dem schläfrigen Lövborg des Sébastien Jacobi findet, bleibt fraglich. Die Leidenschaft kocht beim Diaschauen wieder auf, doch sein "Tod in Schönheit" ist ein Unfall. Am Ende bleibt auch Heddas Selbstmord aus. Über Alice Buddebergs Inszenierung liegt der Mehltau des Ennui, trotzdem offeriert sie einen Lichtblick bei diesen Ruhrfestspielen.
Termine: 14., 15. Mai, 20 Uhr; 90 Min., Kartentel.: 02361/9218-0