Orchesterprobe für Wutbürger

Karin Beier inszeniert in Köln einen zweiteiligen Abend über Demokratie und Fukushima. Trotz gelungener Momente überzeugt er nicht.

Köln. „Schon wieder Theater des Jahres.“ Wer das Kölner Schauspielhaus betritt, kann diese allerorts angeschlagene Auszeichnung nicht übersehen: Stolz ist man hier auf Karin Beier. Die Intendantin hat das Theater zur Nummer eins in Deutschland gemacht. Und sie hat mit ihrem dreiteiligen Jelinek-Abend über den Einsturz des Stadtarchivs im vergangenen Jahr gezeigt, wie Stadttheater auf hohem künstlerischen Niveau Kritiker und Besucher begeistern kann.

Entsprechend hoch sind die Erwartungen: Beier hat am Donnerstag erneut mit einer Jelinek-Uraufführung eröffnet. Und wieder ist das Publikum ganz aus dem Häuschen, als sie sich nach dreieinhalb langen Theaterstunden in Abendkleid und Gummistiefeln — wie 2010 — auf der verschlammten Bühne verneigt. Die Euphorie scheint wohl Tradition zu sein, denn an das Theatererlebnis vom Vorjahr können „Demokratie in Abendstunden“ und „Kein Licht“ nicht anschließen.

Bis es zu dem sprachlich starken Jelinek-Teil über die Tragödie von Fukushima kommt, steht eine zweistündige Orchesterprobe für Wutbürger an. Inspiriert von Fellinis gleichnamigen Film bildet hier ein Mikrokosmos die Gesellschaft ab: Die Flöte kuscht vor der Trompete, die erste Geige hat so lange das Sagen, bis die Solistin erscheint. Sobald der Dirigent seinen Taktstock schwingt, herrscht die Diktatur der Kunst.

Wolfgang Pregler hat die Lacher auf seiner Seite, wenn er als Kapellmeister über Stille doziert, sich über Huster und Rotzer im Publikum erhebt und die Musiker-Herde in Schach hält. Doch sein Orchester probt den Widerstand: Mit dem Hinweis auf tarifvertraglich geregelte Pausenzeiten startet die erste Geige (Michael Weber), die übrigen Volksvertreter stimmen als Chor ein: Sie kennen ihre Rechte, singen Paragraphen und Absätze mehrstimmig. Leben und Arbeiten in geregelten Bahnen — das ist Demokratie.

Mit Ironie und Komik gelingen solche Momente. Dazu passt die gläserne Raucherbox auf der von Johannes Schütz als Übungszelle mit Betonwänden eingerichteten Bühne. Nichtraucherschutz bewegt schließlich die Massen. Die Gründer der Bamba-Partei plädieren für das Nichtprogramm, der Hausmeister und Althippie (Thomas Wittenborn) sagt voraus: „Revolution ante portas“. Kant, Beuys, Cage und andere kluge Köpfe standen Pate für diese Übungseinheit „Demokratie in Abendstunden“. Doch neben den stark spielenden Schauspielern mangelt es dem Text an Originalität, gut inszenierte Parolen bringen noch keinen Erkenntnisgewinn.

Dem näher kommt „Kein Licht“. Auf dunkler Bühne fragen Stimmen: „Woher kommt die Gefahr?“ Von außen, lautet die Antwort. Die Natur hat sich erhoben, und, wie diese Menschen finden, dabei unsagbar übertrieben. Die Fragenden sind Elemente, die für die Kunst brennen. Brennelemente, nennt sie Jelinek. Ihre sprachliche Kraft entfaltet sich.

Die Musiker, die gleichen Instrumentalisten wie im ersten Teil, spielen gegen die Katastrophe an, doch sie hören nichts. Die Halbwertzeit ihrer Töne ist abgelaufen. Sie sind ebenso verloren wie die Hinterbliebenen der Katastrophe in Japan. Berührend ist das, die Verbindung zum langen ersten Teil aber fehlt.