Picasso blickt auf sich selbst
Das Neusser Clemens-Sels-Museum zeigt anhand zahlreicher Grafiken, wie das weltweit gefeierte Genie sein eigenes Schaffen sah.
Neuss. Wie entsteht ein Kunstwerk? Wie wie wird die Idee zur Wirklichkeit im Bild? Und in welcher Rolle sieht sich der Künstler?
Pablo Picasso, weltweit gefeiertes Genie, hat sich über 40 Jahre seines Schaffens mit dem Selbstverständnis des Künstlers auseinandergesetzt - mit seinem Selbstverständnis.
In einer ungewöhnlichen Ausstellung zeigt das Neusser Clemens-Sels-Museum jetzt Grafiken, die diese Reflexion faszinierend verdeutlichen.
Dabei seien die Grafiken nicht etwa "zweite Wahl" gegenüber der Malerei, sondern vielmehr Ausgangspunkt für Picasso, betont Uta Husmeier-Schirlitz, Kuratorin der Ausstellung. 100 Werke haben ihr Leihgeber zu Verfügung gestellt, darunter private Sammler, deren Grafiken sonst nicht zu sehen sind.
Blätter aus der von Picasso illustrierten Balzac-Novelle "Das unbekannte Meisterwerk" (Le Chef d’Oevre Inconnu) setzen den Anfangspunkt. Maler und Modell: Da mischen sich Beobachtung und Phantasie. Nur eine Synthese aus beidem, so hat es Picasso ausgedrückt, schaffe ein wertiges Kunstwerk.
Das Modell wird ihm zur Muse. Weit mehr als ein rationales Studienobjekt, zieht die Frau als Gegenüber den Künstler erotisch an. An diesem Punkt bringt Picasso den Minotaurus ins Bild; Synonym für den triebgesteuerten Maler, der angesichts der Verlockung (oder des Abgrunds?) Distanz zeigen muss.
Der Maler, so zeigt es Picasso auch in den Blättern der Suite Vollard, hat nur Augen für die Kunst - selbst wenn ihn seine Muse, in diesem Fall Marie-Thérèse Walter, in ihren Armen hält.
Dem vor Kraft strotzenden Künstler begegnet der Besucher ebenso wie dem alternden Maler - statt des Minotaurus beherrscht ein Gnom das Bild -, der sich zum Voyeur entwickelt.
Und schließlich die Grenze. Ist der Künstler tatsächlich Gott, wie es Picasso in frühen Jahren einmal ausgedrückt hat? Er ist es nicht. Eine Grafik aus dem Jahr 1971 zeigt wieder einmal das Modell und den Maler. Doch der trägt diesmal eine Narrenkappe.
Hervorragend ergänzt wird die Schau der Grafiken durch 50teils noch nie gezeigte Schwarz-weiß-Fotos von Künstlerfreunden. Die Werke von Edward Quinn, Dora Maar und Douglas Duncan zeigen Picasso in seinem Atelier; es sind faszinierende Dokumente des künstlerischen Schaffens.
Picasso von hinten im Stuhl vor der leeren Leinwand (Edward Quinn), Picasso beim ersten Strich eines Portraits, fotografiert von Douglas Duncan. Picasso, der Morgenmuffel, bei der nächtlichen Arbeit an Guernica, aufgenommen von seiner Geliebten Dora Maar.
Und auch in der Fotogalerie wird deutlich: Pablo Picasso vertraute seinen Freunden, ließ sich beobachten, gewährte intime Einblicke - und inszenierte dennoch mit. Auch dies ein Beispiel seines künstlerischen Selbstverständnisses.
Die Kuratorin verzichtet auf den Einsatz von Audio-Guides. Stattdessen bieten an zwei Hörstationen nach Kategorien zu wählende nachgesprochene Zitate des Künstlers sowie Kommentare und Erinnerungen von Freunden einen weiteren Zugang zum Werk Picassos.
Das Konzept, das künstlerische Selbstverständnis des Künstlergenies anhand seiner Grafiken über einen Schaffenszeitraum von Jahrzehnten darzustellen, hat die Leihgeber überzeugt und den Picasso-Sohn Claude bewogen, die Schirmherrschaft für die Neusser Ausstellung zu übernehmen.
Das Clemens-Sels-Museum am Obertor hat sich einer großen Aufgabe gestellt. Die Umsetzung ist vollauf gelungen.