Ruhrfestspiele: Mit mörderischem Sportsgeist
Angela Winkler und Eva Mattes glänzen in dem grotesken Klassiker „Arsen und Spitzenhäubchen“ als skurrile Tanten.
Marl. Da steigt Jonathan Brewster dann doch die Galle hoch. Es steht sagenhafte 12 : 12 und das kratzt dann doch an der Ehre eines Profimörders, der zwischen Melbourne und London global meuchelt. Seine Tanten Abby und Martha haben nämlich die gleiche Anzahl Leichen im Keller und drohen ihm nun den Rang abzulaufen.
Mord als sportlicher Wettkampf einer wahnsinnigen Familie betrachtet, auch darum geht es in Joseph Kesselrings Theaterstück "Arsen und Spitzenhäubchen", das durch die Verfilmung mit Cary Grant und Peter Lorre zum Klassiker wurde. Die Inszenierung des St. Pauli Theater, die bei den Ruhrfestspielen Premiere feierte, wirkt zunächst wie die Begegnung mit einem guten alten Bekannten.
Auf Raimund Bauers blutrot gestrichener Bühne mit Sitzgruppe, obligatem Treppenhaus samt Fenster und Leichentruhe sowie dem als Kamin getarnten Abgang zum Keller inszeniert Regisseur Ulrich Waller liebevolles Old Fashioned Theatre.
Natürlich stürmt Neffe Teddy (Gerhard Garbers), der sich für Roosevelt hält, mit "Attacke" die Treppe hoch oder steigt in Khakiuniform in den Keller, um am Panamakanal neue Gräber für die Leichen seiner Tanten anzulegen. Und natürlich reißt auch der Mortimer des Uwe Bohm wie Cary Grant entsetzt die Augen auf, als er den toten Mr. Hoskins in der Truhe entdeckt und fertigt mit verwirrter Ruppigkeit seine lebhafte Verlobte Elaine (Stefanie Stappenbeck) ab - auch wenn man sich hier gelegentlich etwas trockeneres, temporeicheres Spiel gewünscht hätte.
Bei weitem nicht so betulich und tüttelig wie im Film sind dagegen die beiden Tanten Abby und Martha, die von Eva Mattes und Angela Winkler verkörpert werden. Mit viel Spiellaune und Witz werfen sich beiden grandiosen Darstellerinnen in ihre Rollen.
Wie Angela Winkler als Martha mit Trippelschritt die Bühne überquert, den Servierwagen mehr trägt als schiebt, ist urkomisch. Eva Mattes wiederum gibt eher eine robuste, zupackende Abby, die Mortimer auch mal anschnauzt. Wunderbar, wie die beiden händchenhaltend mit zartem Stupor ihre Hollunderwein-Morde an einsamen Männern als "private Angelegenheit" rechtfertigen.
So absurd es klingen mag, "Arsen und Spitzenhäubchen" war 1941, als es zunächst am Broadway herauskam und dann verfilmt wurde, ein schwarzhumoriges Zeitstück. Ganz deutlich wird dies in den (im Film gestrichenen) Anspielungen auf Hitler.
Der dritte Brewster-Neffe Jonathan sieht nämlich nach einer Gesichtsoperation genau wie der Diktator aus, was zum Running Gag wird und den knurrigen Frankenstein des Christian Redl, der mit sardonischer Lust seine Mordinstrumente herzeigt, schier rasend vor Wut macht.
Der Showdown wird dann mit viel Spaß an der Absurdität ausgespielt; von der aberwitzigen Fesselung Mortimers über den bestussten theaterbesessenen Polizisten bis zum Leichenstau - die Spiellust des Ensembles ist unverkennbar. Am Ende wird Mortimer von der befürchteten brewsterschen Mordveranlagung freigesprochen: Er ist nur der uneheliche Sohn einer Köchin. Doch als alle Brewsters in die Heilanstalt eingewiesen werden, packt die Tanten doch wieder der mörderische Sportsgeist - 12 : 12, das kann nicht sein.