Shakespeare kommt aus Afghanistan

Neuss (dpa) - Shakespeare und Afghanistan - das scheint nicht zusammenpassen. Eine afghanische Schauspieltruppe weist nach, dass sich der große englische Dramatiker (1564-1616) und das kriegsverwüstete Land am Hindukusch gar nicht fremd sind.

Erstmals seit über 30 Jahren spielen afghanische Schauspieler wieder Shakespeare - zuletzt geschah das lange vor sowjetischer Besatzung, Bürgerkrieg und Taliban-Terror.

Zum ersten Mal trat die Gruppe Rah-e Sabz (Pfad der Hoffnung) in Deutschland auf - in Neuss bei Düsseldorf. Direkt an einer Galopprennbahn steht dort der Nachbau des originalen Londoner Shakespeare-Theaters. Jeden Sommer treffen sich Ensembles aus aller Welt zum Shakespeare-Festival im Neusser Globe.

Der Auftritt der zehnköpfigen Truppe aus Kabul am Montagabend mit Shakespeares frühem Verwechslungs- und Klamaukstück „Komödie der Irrungen“ war ein Riesenerfolg. Minutenlang applaudierten etwa 450 Zuschauer und trampelten auf den Boden - nicht etwa aus falsch verstandener Anteilnahme mit dem Schicksal der Afghanen, sondern weil sie sich bei dem temporeichen Verwirrspiel um zwei Zwillingspaare köstlich amüsierten.

Schauplatz des Stücks in der Regie der deutsch-syrischen Schauspielerin Corinne Jaber sind die Hinterhöfe Kabuls. Aus einem Herzog wird ein Emir im Usbekenmantel. Der Kaufmann Egon wird zu Ehsan, der am Airport Kabul festgenommen wird. Er hat seine Söhne nicht bei einem Schiffbruch, sondern im Sandsturm verloren.

Nichts ist einfach in Afghanistan. Die Probleme der Truppe fingen damit an, dass eine Schauspielerin kein Schengen-Visum von der Deutschen Botschaft in Kabul bekam. Ein weiterer Darsteller flog von London, wo das Ensemble zuvor auftrat, nicht etwa mit den Kollegen nach Deutschland, sondern zu seinem schwer erkrankten Bruder nach Kanada. Familie geht in Afghanistan vor.

Am Hindukusch sind die Probleme sogar lebensgefährlich. Seit dem Mord an dem Ehemann einer Schauspielerin und der Zerstörung des Probenraums bei dem Anschlag auf das britische Kulturinstitut im August 2011 trifft sich die Compagnie zum Proben in Südindien.

2005 debütierte das Ensemble mit Shakespeares Stück „Verlorene Liebesmüh“. In Herat musste die Aufführung in einer Mädchenschule abgebrochen werden. Die Mädchen hatten den Schauspielern, die fast alle Fernseh- und Radiostars sind, einen allzu stürmischen Empfang bereitet.

Auf einem Marktplatz in Mazar-i-Sharif im Norden schauten nur Männer zu. Wenn den Schauspielerinnen das Kopftuch abfiel, sei ein Raunen durch das Publikum gegangen, erzählt Jaber. Was auf der Bühne im Westen selbstverständlich ist, wäre in Afghanistan unmöglich: Darstellerinnen tanzen, singen und berühren Männer.

„Auf der einen Seite bewundern die Menschen Schauspielerinnen im Fernsehen“, sagt der britische Produzent der Truppe, Roger Granville. „Auf der anderen Seite werden sie dafür getadelt, dass sie Schauspielerinnen sind.“ Dass überhaupt Frauen mitspielen können, ist ein kleines Wunder. Die Frauen von Rah-e Sabz mussten von ihren Männern oder männlichen Familienmitgliedern die Erlaubnis einholen.

Die Leidenschaft und das komische Talent aller Darsteller lässt den politischen Kontext in den Hintergrund treten. Es ist auch ganz egal, dass die meisten Zuschauer kein Wort der persischen Sprache Dari verstehen und sich an die englische Übertitelung halten. „Die Botschaft Shakespeares ist universell, alle Nationen können sie annehmen“, sagt der 23-jährige Granville, ein Orientalistik-Absolvent aus Oxford.

Zehn Jahre nach dem Fall des Taliban-Regimes sind Theateraufführungen in Afghanistan immer noch selten. Die Sicherheitslage ist bedrohlich. „Wir hoffen, dass wir das Stück auch in Afghanistan spielen können“, sagt Regisseurin Jaber. „Aber es wird immer gefährlicher.“