Musikalischer Hochgenuss: Tschaikowskys „Die Jungfrau von Orléans“ in der Oper am Rhein Johanna, die geläuterte Kriegerin

DÜSSELDORF · Johanna stirbt in der Kirche, die in Flammen aufgeht, direkt über dem Leichnam ihres geliebten Lionel. Dabei hatte die jugendliche Feldherrin, Wunderwaffe des französischen Königs Karls VII. im Hundertjährigen Krieg, gerade ihr Glück auf dem Schlachtfeld gefunden und sich überraschend schnell zur Liebe zu dem englischen Soldaten bekannte – in einer leidenschaftlichen Kuss-Szene à la Hollywood.

Maria Kataeva (r.) singt die Titel-Partie der Johanna, hier mit Richard Sveda als Lionel.

Maria Kataeva (r.) singt die Titel-Partie der Johanna, hier mit Richard Sveda als Lionel.

Foto: Sandra Then

Mit mächtig Getöse, gewaltigen Opernchören, viel Emotionen, sakralem Pathos und Breitwand-Bildern endet die Tschaikowsky-Oper „Die Jungfrau von Orléans“ – zumindest in der romantisch aufwühlenden Inszenierung von Elisabeth Stöppler, die jetzt in der Düsseldorfer Rheinoper eine bejubelte Premiere feierte.

Ein besonderes Ereignis ist’s allemal: Denn dieses 1881 in St. Petersburg uraufgeführte Werk wurde zuvor noch nie in dem Duisburger/Düsseldorfer Doppelhaus in Szene gesetzt. Kaum zu glauben. In Anlehnung an das gleichnamige Drama von Friedrich Schiller schuf der russische Tondichter damit nämlich eine Mischung aus Requiem und Grande Opéra, die an mitreißend schwungvollen Chören, sinnlichen Arien und schwelgerischer Romantik genauso viel zu bieten hat wie manche Verdi-Kassenschlager.

Allerdings: Es geht um verbriefte, lebendige Vergangenheit – um den französisch-englischen Krieg, den Frankreich im 15. Jahrhundert nur  durch ein Wunder gewonnen hat: Durch das plötzliche Eingreifen der mysteriösen Johanna von Orléans, der ein Engel erschienen war. Über dem Altar schwebend und mit einem Schwert in den Händen schwört dieses Wesen in weißem Gewand das kleine Mädchen Jeanne aus dem Vogesen-Dorf Domrémy auf einen Waffengang  ein. Wie auf einen Heiligen Krieg.

Doch anders als beim deutschen Klassiker Schiller, für den der Prozess der Kirche gegen die selbst ernannte „Heilige Kriegerin“ wichtig ist, kommt er bei Tschaikowsky gar nicht vor. Ihm ging es um die Liebes-Tragödie mit tödlichem Ausgang zwischen französischer Soldatin und englischem Krieger. Er wird erschossen, als er Johanna retten will. Sie geht unter, trotz zahlreicher Hilferufe der Gemeinde, in der brennenden Kirche – dem einzigen Schauplatz in Stöpplers Inszenierung (Bühne: Annika Haller, Kostüme: Su Sigmund), die überwiegend auf zeitlos moderne Kleidung, Maschinengewehre und Kriegs-High-Tech setzt und auf historisierende Zitate verzichtet.

Das Stärkste sind die Gruppenbilder – meist mit gebanntem Blick auf ihre Erlöserin Johanna. Haltung und Gesten erinnern manchmal an ausladende Sakralmalerei des 19. Jahrhunderts. Zwischen Kirchengestühl und Altar erhält Johanna den Auftrag der Himmelsbotin, die Johanna auf ein Schwert schwören lässt. Ein Bild von religiös verblendeter Entschlossenheit, in einen Krieg zu ziehen.

Das wirkt zusammen mit der teilweise martialischen Musik –  nicht nur in diesen Monaten des Ukraine-Kriegs – auf manche Zuschauer befremdlich. Im letzten Sommer führte es sogar dazu, dass St. Gallen eine Open-Air-Inszenierung dieser Oper wegen des Ukraine-Kriegs und möglicher Missverständnisse abgesagt hatte. Letzteren geht Stöppler bewusst aus dem Weg: Sie betont die Einsicht Johannas, dass der Krieg für sie nur ein Irrtum sein  kann. Blutbeschmiert, verletzt an Körper und Seele haucht sie ihr Leben aus – nicht als Kriegs-Heldin, sondern als geläuterte Frau, die im Finale das private vor das Kriegs-Glück stellt.

Musikalisch bietet dieser Abend drei Stunden Hochgenuss: Hoch gestimmte und meist sauber intonierte Symphoniker unter Peter Halász setzen romantische Glut, Requiem-Feierlichkeit und dosierte, aufflackernde, lautstarke Knall- und Feuer-Effekte. Der Knüller ist Maria Kataeva in der Titelrolle. Stimmprächtig zieht sie alle Register: Sie  glüht vor jugendlichem Eifer, geriert sich als knallharte Kämpferin und endet als zarte Frau, die am Tod ihres Geliebten zerbricht. Kataeva steigert ihren dramatisch aufblühenden Mezzosopran, den sie mit verschwenderischer Kraft einsetzt, in  Arien und Duetten. Ob mit Bariton Richard Sveda, der als stürmender und drängender Liebhaber Lionel die Szene dominiert. Oder mit Aleksandr Nesterenko: Der lyrische Tenor aus Russland ist die Entdeckung des Abends. Als Johannas Jugendfreund Raimond besticht er durch cremigen Schmelz, leicht emporschwingende, aber durchdringende Höhen und durch den unverwechselbaren Tenorsound, der im besten Sinne als „typisch russisch“ gilt.

Die Jungfrau von Orléans – in russischer Sprache mit deutschen  Übertiteln. Vorstellungen: 10., 14., 17., 23., 26., 29. Dez.,  4., 8. Jan. 2023. Tel.: 0211/8925211