Balett-Premiere Eine Frau ohne Namen in Mönchengladbach
Mönchengladbach. Das Leben einer Frau von ihrer Geburt bis zum Tod ist Thema eines neuen Ballettabends von Robert North. Im Theater Mönchengladbach wurde die Uraufführung dieses Werkes vom Publikum begeistert gefeiert.
Dass der Abend zutiefst berührt ist neben der eindrucksvollen Choreografie vor allem der Musik zu verdanken. In enger Zusammenarbeit mit dem Ballettdirektor hat der britische Komponist Howard Blake verschiedene Teile aus seinen Werken zu einem faszinierenden Klangteppich zusammengefügt. Neben großem Orchester mit ausgedehnten Streichersoli kommt im letzten Teil auch ein Chor zum Einsatz.
Der Abend beginnt musikalisch mit einem Sopransolo (Sophie Witte), das sich von zarten Tönen zu ausdrucksvollem Gesang steigert. Die Sängerin steht am linken Bühnenrand und begleitet gemeinsam mit den Streichern der Niederrheinischen Sinfoniker den Prolog. Vor einem roten Hintergrund, auf dem als Sinnbild des Lebens eine Kreisform zu erkennen ist, erwachen die Tänzer zum Leben. Sieben Männer und Frauen, in schlichte graue Trikots gekleidet, tanzen gemeinsam, dann in Gruppen getrennt und schließlich wieder zusammen. In einer für North charakteristischen klaren Ausdrucksform, in der sich stets klassische und moderne Elemente des Tanzes mischen, wird vom Ursprung des Lebens erzählt. Männliche und weibliche Gene ziehen sich an, vereinigen sich, Leben entsteht.
Wo Leben ist, ist auch der Tod. Farbe und Licht wechseln in tiefes Blau und in einer kurzen Sequenz wird der Tod einer männlichen Figur betrauert. Am Ende des Prologs erscheint ein kleines Mädchen aus einem Tunnel heraus, den die Tänzer gebildet haben. Mit seinen Eltern läuft es im Kreis, ein größeres Mädchen wir eingewechselt, schließlich richtet sich eine in Rot gekleidete Frau (Karine Andrei-Sutter) im Zentrum der Bühne auf. Sie ist von einem schwebenden Metallkreis umgeben, der im Verlauf des Stücks noch eine wichtige Rolle spielen wird. Das Leben der Frau beginnt. Sie ist als allgemeines Sinnbild zu verstehen und bleibt daher namenlos. Auch bei den weiteren Figuren wird auf individuelle Namen verzichtet.
Da sind zwei Freunde (Takashi Kondo und Guiseppe Lazarra), die sie durchs Leben begleiten, eine Freundin (Elisa Rossignoli) taucht auf, die später zur erbitterten Rivalin wird. Vertrauensvoll und von einer zurückhaltenden Zuneigung ist die Beziehung zu dem Jugendfreund (Raphael Peter) gekennzeichnet, heftige Leidenschaft charakterisiert die Begegnung mit dem ersten Ehemann (Alessandro Borghesani). Kinder werden geboren und bald verlässt er sie wegen der Freundin. Eine banale alltägliche Geschichte, die allerdings sehr dicht und emotional erzählt wird. Das Bühnenbild bleibt bis auf wenige Farb-und Lichtwechsel abstrakt, die Kostüme sind der heutigen Zeit angepasst (Ausstattung Udo Hesse).
Zwei Sätze aus Howard Blakes Violinkonzert bieten den perfekten musikalischen Rahmen dazu. Unter der Leitung ihres Kapellmeisters Alexander Steinitz spielen die Niederrheinischen Sinfoniker hoch konzentriert und engagiert. Im hoch emotionalen Violinsolo (Philipp Wenger) spiegeln sich die Qualen der verlassenen Frau wider. Innerhalb des Metallkreises agiert sie wie eine Gefangene, die keinen Ausweg findet. Nicht nur in dieser Szene beeindruckt Karine Andrei-Sutter mit ihrer feinnervigen und zugleich so intensiven Körpersprache. Die langjährige Solistin des Ballettensembles feiert mit dieser Rolle, in der sie alle Facetten zeigen kann, einen glanzvollen Abschied von der Bühne. Aus der Krise führt der Weg zur Kunst. Gegen Ende des ersten Teils wird die Frau eine gefeierte Schriftstellerin, der Jugendfreund zum zweiten Ehemann. Der erste Mann und die Freundin tauchen als schmerzhafte Erinnerungen immer wieder auf. Der zweite Teil zeigt die Frau bereits am Ende ihres Lebens.
Der Dynamik des Lebens folgt eine eher elegische und versöhnliche Stimmung. Jetzt mit grauem Haar bekräftigt das Ehepaar im Tanz noch einmal seine Zuneigung, gibt es auch die Aussöhnung mit der Freundin. Der Tod erfolgt plötzlich am Schreibtisch, was den Abend aber noch nicht beendet. Denn in einem an den Prolog anknüpfenden Schlussteil wird der Übergang vom physischen Tod in ein anderes Leben thematisiert. Robert North’ Überlegungen sind hier eindeutig vom christlichen Abendland geprägt. Nach einem Zwischenzustand in Leere und Dunkelheit begleitet ein Engel (Viktoria Hays) die Frau in eine andere Sphäre. Die reduzierte Architektur eines Gewölbes mit Empore sowie die in Pastelltönen gehaltenen, schlichten Kostüme lassen an Renaissancebilder denken. Darauf abgestimmt ist auch die Musik, die mit einem wunderbaren Viola-Solo (Albert Hametoff) beginnt und dann Teile aus Blakes Oratorium „Benedictus“ verwendet. Der lateinische Gesang des gemischten Chores (Einstudierung Maria Benyumova) verbreitet eine feierlich-sakrale Atmosphäre, zu der die wieder sehr dynamische Choreografie einen spannenden Kontrast bietet. Mit Drehungen und Sprüngen und in unterschiedlichen Konstellationen scharen sich achtzehn Tänzerinnen und Tänzer als Himmelswesen um die jetzt weiß gekleidete Frau, die schließlich Teil von ihnen wird.
Die einfache Geschichte bekommt so einen überzeitlichen Charakter, Musik und Tanz verschmelzen zu einen eindrucksvollen Gesamtkunstwerk. Dass das alles nicht in Kitsch abdriftet sondern sehr berührt, ist der Kunst von Robert North zu verdanken. Er versteht es, mit Tanz Geschichten zu erzählen, prägnant und voller Poesie.