Die Jugend kommt erst später
Kino: Mit 13 Nominierungen ist „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ einer der Favoriten für die diesjährigen Oscars. Mit Recht!
Düsseldorf. Die schönsten Filme spielen sich im Kopf ab. Denn die eigene Fantasie kennt die besten Wege, Geschichten, die wir hören, die wir lesen oder selbst erdenken, zu visualisieren. Gelingt es einem Film allerdings, seine Handlung mit dermaßen opulenten und bewegenden Bildern zu füttern, wie sie unserer vielschichtigen Vorstellungskraft nicht exakter hätten entspringen können, nennt man das gemeinhin: großes Kino!
Regisseur David Fincher ("Sieben, "Fight Club"), dessen bisheriges, sechs Filme fassendes Werk man ohnehin beinahe unfehlbar nennen kann, ist mit seinem siebten Film, "Der seltsame Fall des Benjamin Button", genau das gelungen.
Man wird als Zuschauer eins mit dieser seltsam anmutenden Geschichte vom Mann, der alt zur Welt kommt und im Laufe seines Lebens immer jünger wird, bis er am Ende als Säugling in den Armen der Frau seine Ruhe findet, die er sein Leben lang geliebt hat. Erklärt wird dieser physische Rückwärtsgang nie. Fincher findet aber von Beginn an genau den richtigen erzählerischen Ton zwischen Epos, Märchen und Liebesdrama, der den Zuschauer die bizarre Ausgangssituation akzeptieren lässt, ohne Fragen zu stellen.
Zur Welt kommt Benjamin Button am letzten Tag des Ersten Weltkriegs. Seine Mutter stirbt bei der Geburt, sein Vater will nicht akzeptieren, dass das verschrumpelte, brüchig krächzende Bündel in der Wiege sein Sohn sein soll. Er setzt ihn aus, auf den Stufen eines Altenheims, mit 20Dollar als dürftiger Mitgift. Gefunden wird er dort von Queenie (Taraji P. Henson), einer farbigen Pflegerin des Stifts, die den Jungen mit den trüben Augen und den steifen Gelenken zwischen den Todgeweihten großzieht.
Von der zugrunde liegenden Kurzgeschichte des amerikanischen Romanciers F. Scott Fitzgerald ist nur das Grundmotiv geblieben. Während die Vorlage die festgefahrene Erwartungshaltung und das hysterische Verdrängen von Abnormitäten satirisch überzeichnet, nutzt Drehbuchautor Eric Roth die rückwärtige Entwicklung seines Protagonisten für eine epische Lebens- und vor allem Liebesgeschichte. Außenseitertum spielt nur eine untergeordnete Rolle. Die Magie, füreinander bestimmt zu sein, setzt sich über kleingeistige Vorurteile hinweg.
Als Benjamin sieben ist, lernt er Daisy kennen, die Nichte einer Heimbewohnerin. Es ist die viel beschworene Liebe auf den ersten Blick, die sie ungeachtet ihrer äußerlichen Gegensätzlichkeit durch die Irrungen und Wirrungen ihrer verschlungenen Lebenswege trägt. Ähnlich wie bei seinem oscargekrönten Skript zu "Forrest Gump" schickt Roth das Paar durch zwei parallel verlaufende Odysseen, deren Bewegtheit nur wenig Raum für gemeinsame Schnittpunkte bietet.
Benjamin (jetzt gespielt von Brad Pitt) wird auf hoher See und in leicht speckigen Hotelzimmern zum Mann. Daisy (Cate Blanchett) studiert Ballett und genießt das schwebende Dasein als Bohemian. Nach einer ihrer Aufführungen besucht Benjamin sie in Paris, nur um feststellen zu müssen, dass er mit der Physis eines Mittfünfzigers zwischen ausgelassen feiernden Jungkünstlern lächerlich wirkt. Daisy ist das unbeschwerte Leben in diesem Moment wichtiger als ihre Gefühle. Nicht zum letzten Mal tritt Benjamin den Rückzug an, um ihre normale Entwicklung nicht zu behindern.
Dieses ständige Auf und Ab und Vor und Zurück ist so mitreißend in Szene gesetzt, dass man selbst in den Momenten still gebannt in seinem Kinosessel verharrt, in denen die Geschichtescheinbar ziellos, teils sogar bizarr ihre Bahnen zieht. Letztendlich dienen diese Randanekdoten - Benjamins spontanes Kriegsmanöver in den 1940ern beispielsweise - aber nur als Beleg für die alles überwindende Kraft der Liebe.
Für 13 Oscars wurde dieses wuchtige Gefühlskino nominiert. Am Abend der Verleihung wird sich das Epos aber wohl dem schlauen Wohlfühlkino des Briten Danny Boyle beugen müssen, dessen "Slumdog Millionär" zehnmal im Rennen ist. Hier, in der Geschichte des Underdogs, der das große Geld und die Frau fürs Leben findet, verharrt das Schicksal letztlich im Glück. Für Benjamin Button bleiben diese Momente absoluten Gleichklangs leider flüchtig - und deswegen so bestürzend wahrhaftig.