Filmfestival Venedig: Michael Moore und das Kapital
In seinem neuen Werk hat der Filmemacher die Finanzkrise unter die Lupe genommen.
Venedig. Michael Moore hat einen Liebesfilm gedreht. Allerdings mit einer etwas launischen Geliebten: dem Kapitalismus. Der unbequeme Filmemacher schafft es wieder einmal, bei einem Festival für maximale Aufmerksamkeit zu sorgen.
Mit "Capitalism: A love story" legt er den Finger tief in die Wunde der geschundenen amerikanischen Gesellschaft, die mit den Auswirkungen der Finanzkrise eine ihrer schlimmsten Phasen erlebt. Und es gelingt dem manchmal etwas nervigen Nörgler wieder, einem sperrigen und durchaus unbeliebten Thema unterhaltsame und erhellende Aspekte abzugewinnen.
Nach der Waffenlobby in den USA ("Bowling for Columbine"), dem Irakkrieg ("Fahrenheit 9/11") und dem US-Gesundheitssystem ("Sicko") nimmt er diesmal den Kapitalismus unter die Lupe.
Bei Festivals ist der Filmemacher ein gern gesehener Gast, sorgt er mit seinen provozierenden Thesen doch immer für Diskussionsstoff. Beim Festival von Venedig geht mit "Capitalism: A love story" erstmals eine Dokumentation ins Rennen um den Goldenen Löwen.
Moore folgt seinem bewährten Prinzip. Er liefert viele Daten und Fakten und montiert die dokumentarischen Schnipsel ironisch mit Interviews, die er mit Protagonisten der Finanzkrise wie Brokern, Immobilienmaklern und Politikern geführt hat. Wer hier gut und wer böse ist, daran lässt Moore keinen Zweifel.
Die Opfer bekommen mindestens ebenso viel Raum: die Familien, die ihre Häuser verlieren, weil die Banken ihnen die Hypotheken nicht mehr gewähren. Es sind teils erschütternde Szenen, die Michael Moore zusammen gestellt hat.
"Manche haben alles und andere nichts. Dazwischen gibt es nichts mehr", sagt ein Mann verbittert, der noch gegen Bezahlung der Bank hilft, sein eigenes Haus zu räumen. Moore will wie immer polemisieren und hält auch gerne drauf, wenn Tränen fließen. Diese Bilder kennt man allerdings schon.
Lieber hätte man mehr über die fatale Verquickung von Politik und Wirtschaft erfahren. Dass das halbe Treasury Department der Regierung aus ehemaligen Mitarbeitern der Goldman-Sachs-Bank bestand, scheint ungeheuerlich. Natürlich bekommt Ex-Präsident George W. Bush viel Schelte ab, aber auch Clintons Regierung hatte wohl keine weiße Weste.
Alle haben mit daran gearbeitet, dass die große Finanzblase platzen musste. Dabei hatte schon Roosevelt Pläne für eine soziale Gesellschaft mit einem funktionierenden Gesundheitssystem, angemessener Bezahlung und Rente. Doch diese sind nie umgesetzt worden.
Moore zeigt ein ungerechtes, korruptes und zynisches System auf, in dem Piloten so wenig verdienen, dass sie nebenher kellnern müssen, und in dem Firmen auf den Tod ihrer Mitarbeiter Versicherungen abschließen, um noch daran zu verdienen. Kapitalismus ist unmoralisch und böse, sagt ein Priester, die Wall Street ein krankes Kasino, sagt Moore.
Doch wie sehen die Alternativen aus? Auch die versucht der Regisseur aufzuzeigen: Mehr Selbstbestimmung und gemeinsam für Rechte kämpfen. Demokratie als Mittel, den Kapitalismus abzuschaffen. Wie genau das gehen soll, das weiß Moore allerdings auch nicht.