Harvey Milk: Kampf für die eigenen Rechte
Kino: Sean Penn spielt den Schwulen-Aktivisten Harvey Milk und könnte seinen zweiten Oscar als „Bester Hauptdarsteller“ bekommen.
Düsseldorf. Sich politisch zu engagieren, war für Harvey Milk lange kein Thema. Im Gegenteil: Bis er 40 wurde, war sein Leben eine schwarzgraue Collage verschiedener Versuche, seine Persönlichkeit hinter einer Fassade der Angepasstheit zu verbergen: Er war bei der Marine, wurde Lehrer, später Versicherungskaufmann und schließlich Wall-Street-Makler. Seine Homosexualität hielt er geheim, war sogar so sehr darauf bedacht, nicht entdeckt zu werden, dass er sich von Männern, die sich politisch engagierten, trotz starker Gefühle für sie fernhielt.
Diese Vorgeschichte aus dem Leben des bekanntesten amerikanischen Schwulen-Aktivisten stellt in Gus Van Sants "Milk" nur eine Randnotiz gleich zu Beginn dar. Der Zuschauer lernt Milk (Sean Penn) und seinen stromlinienförmigen Lebensstil kurz kennen, um zu erfahren, dass er und sein derzeitiger Freund Scott Smith (James Franco) zu Beginn der 70er nach San Francisco umsiedeln. Dort hat sich im Stadtteil Castro als Folge der Friedensbewegung eine lebhafte Schwulengemeinde gebildet.
Die beiden eröffnen einen Laden für Kamerazubehör, knüpfen schnell Kontakte, lernen aber gleichzeitig die vehementen Ressentiments der vorwiegend irischen, und damit streng katholischen Alteingesessenen kennen. In Milks Leben setzt ein Bruch ein. Wenn er nicht mal dort, wo er glaubte, seinen Lebensstil unbehelligt führen zu können, frei von äußeren Zwängen ist, muss etwas falsch laufen. Um schwule Bürgerrechte politisch durchsetzen zu können, kandidiert er als Stadtrat - und schafft es nach mehreren Anläufen 1977 ins Gemeindeparlament.
Van Sant fängt mit "Milk" die politische Stimmung der 70er kongenial ein. Als Gegenbewegung der Hippies und ihrer öffentlich propagierten freien Liebe bilden sich Interessengemeinschaften, die das althergebrachte Familienbild in Stein meißeln wollen und insbesondere die Homosexuellen für dessen Niedergang verantwortlich machen. Geschickt fokussiert Drehbuchautor Dustin Lance Black das Geschehen der Handlung auf Milks Konflikt mit dem reaktionären Stadtverordneten Dan White (oscarnominiert: Josh Brolin).
In differenzierten Dialogen lässt er die unterschiedlichen Wertvorstellungen auf kommunaler Ebene aufeinander prallen, während von außen die bigotte Organisation "Save Our Children" unter Leitung der ehemaligen Schlagersängerin Anita Bryant in einem Bundesstaat nach dem anderen per Plebiszit das Verbot der Homosexualität durchsetzt. Diesen wütenden Mob, der sich durch die USA fraß wie ein bösartiges Geschwür, lässt van Sant mittels Originalbildern, eingefügt als Dokusprengsel, für sich sprechen und schafft damit eine beängstigende Drohkulisse.
Trotz aller politischen Akkuratesse bleibt das, was der Film sein will, nämlich eine filmische Biografie, im Hintergrund. Harvey Milk dient als Blaupause des Bürgerrechtlers. Seine Persönlichkeit, vor allem, welche Kämpfe er mit sich ausfechten musste, um das zu werden, was er bis heute verkörpert, lässt van Sant außen vor. Selbst wenn Milk am Ende vom geschassten White erschossen wird und in San Francisco die "White Night Riots" losbrechen, steht eher die politische Relevanz im Vordergrund.
Bei den Oscars, die am Sonntag verliehen werden, hat Penn die besten Chancen, für seine sensible Schauspielleistung bereits zum zweiten Mal als bester Darsteller ausgezeichnet zu werden. Sein schärfster Konkurrent, der in den vergangenen 20 Jahren eher durch Drogenexzesse aufgefallene Mickey Rourke, dürfte es bei der mehrheitlich konservativen Academy schwer haben. Nicht zuletzt, weil seine Rolle als alterndes Zirkuspferd, die er in Darren Aronofskys Drama "The Wrestler" bravourös verkörpert, den Verdacht nahe legt, er spiele sich selbst.
Außerdem hat die Academy noch ihren Fauxpas gegenüber der in Hollywood starken Schwulengemeinde gutzumachen, als sie vor drei Jahren Ang Lees grandioses Liebes-Drama "Brokeback Mountain" trotz 13 Nominierungen mit drei Trostpreisen untergehen ließ.