Tom Tykwers 70er-Jahre-Thriller
„The International“ eröffnet die Filmfestspiele – und Tykwer wehrt sich gegen angeblich prophetische Fähigkeiten.
Berlin. "Das ist keine Geschichte über die Bankenkrise". Tom Tykwer sagt es immer wieder. Und doch will ihm keiner glauben. Zu schön passt alles zusammen: Die Berlinale eröffnet in diesem Jahr mit einem Film zu genau dem Thema, das aktuell Aktienkurse und Menschen bewegt. So nah dran war Kino noch nie. Geradezu prophetische Fähigkeiten wurden dem Regisseur aus Wuppertal vor der gestrigen Weltpremiere seiner ersten Hollywood-Produktion vorausgesagt.
Wer sich "The International" anschaut, ist erstmal enttäuscht. Er handelt nicht von Managern, die sich am Geld der kleinen Leute bereichern, ihre unverdienten Boni in Kokain investieren und im Sturm der Wirtschaftskrise unter dem Schirm der Regierungen Schutz suchen. Tykwer erzählt einen Thriller im Stil der 70er Jahre, in der Tradition von Filmen wie "French Connection" oder "Marathon Man". Ein einzelner im Kampf gegen ein korruptes System. Ein einzelner, der für Gerechtigkeit und Wahrheit sein Leben gibt.
Louis Salinger (Clive Owen) ist dem Bösen auf den Fersen. Bei Scotland Yard flog er raus, als er zu nah dran war. Jetzt arbeitet er mit der New Yorker Staatsanwältin Eleanor Whitman (Naomi Watts). Los geht es - wie passend zum Auftakt des Filmfestivals in der Hauptstadt - am Berliner Hauptbahnhof. Hilflos sieht der Agent mit an, wie ein Kollege scheinbar an einem Herzinfarkt stirbt, nachdem er einen Informanten der International Bank of Business and Credit (IBBC) getroffen hat. Ein Mord, auch wenn das keiner wahrhaben will. Salinger bleibt dran, folgt den Machenschaften des Geldinstituts nach Luxemburg und Mailand, nach New York und Istanbul.
Sein Gegenspieler in diesem in beeindruckenden Bildern erzählten Film ist eine private Bank, ein sogenannter Global Player. Ihr Geld steckt IBBC in den Waffenhandel, unterstützt afrikanische Rebellen, kontrolliert über deren Schulden die Machtverhältnisse in den Konflikten dieser Welt. In Glaspalästen, auf weißen Designer-Möbeln und in guter Gesellschaft mit Politikern aller Länder scheinen diese Ganoven unfassbar. Tykwer und sein Kamermann zeigen die Gesichter von Salinger und Whitman, wie ihre Blicke keinen Halt finden an den glatten Fassaden. Man schaut ihnen über die Schulter, wie sie nach den kleinsten Hinweisen suchen. Niemand außer ihnen will an offensichtlichen Ungereimtheiten rühren. "Wahrheit heißt Verantwortung, und darum fürchtet sie jeder", erklärt ihr New Yorker Chef. Im Klartext: Lasst die Finger davon.
Das Drehbuch von Eric Warren Singer strotzt von moralischen Sinnsprüchen dieser Art. Sie lenken von der ohnehin etwas zäh vor sich hin plätschernden Story ab. Über Wirklichkeit und Fiktion, über die Illusion von Gerechtigkeit und Kollateralschäden, die das Verfolgen eigener Ideale fordert, lässt Singer einen betagten Ex-Stasi-Agenten (Armin Mueller-Stahl) philosophieren. Dieser organisiert Morde für die Bank und setzt seinen besten Killer auch auf Salinger an. Dann treffen die beiden aufeinander. Der Kommunist von einst sieht sich in diesem aufrichtigen Mann - und wechselt die Seiten.
Nach gut zwei Dritteln dieses Katz-und-Maus-Spiels lässt Tykwer es im Guggenheim-Museum in New York so richtig krachen. Endlich passiert etwas. Doch auch dieser Shootout dauert viel zu lange, um eine fesselnde Wirkung zu erzeugen. Dass der deutsche Regisseur im Thriller-Genre zurückschaut und nicht der Action-Ästhetik der "Bourne"-Trilogie oder aktueller Bonds mit ihren schnellen Schnitten folgen will, ist die eine Seite. Seine präzise inszenierten Filmbilder sprechen für ihn. Damit hält er den Zuschauer dennoch nicht über 118 Minuten bei der Stange - trotz seiner ach so aktuellen Geschichte korrupter Banken.