Schatten einer Sommer-Liebe

Kate Winslet und David Kross verkörpern in „Der Vorleser“ die einstige KZ-Aufseherin und ihren jungen Liebhaber.

Düsseldorf. "Ich dachte nicht, dass ich in irgendwas gut bin." Der 15-jährige Michael Berg zieht den Kopf zwischen die Schultern und wagt sich nur zögernd einen Schritt vor. Bereit, sofort wieder in sein gutbürgerliches Gymnasiasten-Dasein zurückzuspringen. Bereit aber auch, Unbekanntes zu erforschen und sich dabei so zu verletzen, dass die Wunden sein Leben lang nicht heilen werden.

Einen Sommer lang ist Michael Berg "Der Vorleser". Darin ist er gut. Von Homers "Odyssee" über Lessings "Emilia Galotti" bis zu "Tim und Struppi" - seine Worte lassen Welten erstehen. Welten, die der Analphabetin Hanna Schmitz verschlossen sind.

Diese Frau jenseits der 30, die ihn nach dem Lesen mit ihrem Körper belohnt, lässt Michael nur so weit an sich heran, dass er nichts über sie, ihre Schwäche und ihre düstere Vergangenheit erfährt. Die Straßenbahnschaffnerin kontrolliert, wie nah er ihr in diesem Sommer kommen darf. Bis sie plötzlich verschwindet und ihm das Herz bricht.

David Kross (18) spielt Michael Berg. Gemeinsam mit Kate Winslet, die gerade mit einem Oscar für ihre Darstellung der Hanna Schmitz in Stephen Daldrys ("The Hours", "Billy Elliot") gelungener Verfilmung des Bestsellers von Bernhard Schlink geadelt wurde, trägt Kross die zwei Stunden.

Sein Gesicht spiegelt das Unvermögen der Deutschen, nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen Schuld und Unschuld zu unterscheiden. Sein Gesicht spiegelt ebenso die Sehnsucht, das Geschehene zu verdrängen und sich einzurichten in diesem Deutschland der 50er Jahre. Kross, der im vergangenen Jahr bereits in "Krabat" überzeugte, ist auf der Berlinale zum Shooting Star gewählt worden.

Und er beweist mit seiner Charakterisierung des Michael Berg, den er vom 15-Jährigen bis zum Jura-Studenten spielt, an der Seite von Kate Winslet, Ralph Fiennes und Bruno Ganz, dass er zu Außergewöhnlichem fähig ist.

Regisseur Daldry umklammert die Geschichte von Michael und Hanna, ihr Kennenlernen, ihren Liebessommer und das spätere Wiedersehen vor Gericht - der ehemaligen KZ-Aufseherin wird der Prozess gemacht - mit Bildern aus der Gegenwart. Michael, nun gespielt von Ralph Fiennes, lebt als Anwalt in Berlin.

Nach langem Zögern erzählt er seiner Tochter (Hannah Herzsprung) die Geschichte seines Lebens. Mit diesem Kunstgriff will Daldry das zeitliche Hin- und Herspringen des Romans filmisch auffangen. Diese Nebenschausplätze nehmen dem Film zeitweise seine berührende Eindringlichkeit.

Und Kate Winslet? Ist sie nicht viel zu schön, um diese herrische Nazi-Frau zu spielen? Nein, denn gerade ihre körperliche Attraktivität, die sie mit ihrem schneidigen Ton, mit ihrer naiven Obrigkeitshörigkeit bricht, führt den Zuschauern vor, warum Michael ihr nicht widerstehen kann.

Wenn Hanna ihr "Jungchen" in der Badewanne mit dem Waschlappen abseift, ist das ein deutlich spürbarer Missbrauch eines Minderjährigen. Auch wenn der Junge diese erotischen Erfahrungen genießt. Ebenso vor Gericht, wo sie die Verantwortung für Gräueltaten übernimmt, um von ihrem Unvermögen, Lesen und Schreiben zu können, abzulenken, wird Michaels Zwiespalt greifbar. "Der Vorleser" ist ein Film für das große Publikum. Daher die Stars, daher auch viel nackte Haut und Kate Winslet in Nahaufnahme. Gut gemacht ist er trotzdem.