Zwischen Aufklärung und Bürokratie
Politthriller: Hans-Christian Schmids „Sturm“ überzeugt durch feine Figurenzeichnung.
Hannah Maynard (Kerry Fox) weiß, wie Sisyphos sich gefühlt haben muss. Immer wieder steht die Anklägerin beim Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte in Den Haag vor den Scherben ihrer mühsamen, teils jahrelangen Recherchen. Sie will dem bosnischen Kriegsverbrecher Duric den Prozess machen. Doch ihre Zeugen werden unter Druck gesetzt, einige sogar ermordet, was Maynard dazu zwingt, noch einmal ganz von vorne zu beginnen. Sie stößt auf Mira Arendt (Anamaria Marinca), eine junge Frau, die sich nach Kriegsende in Deutschland niederließ, und findet heraus, dass sie eines der Massaker, die Duric zu verantworten hat, beobachtet hat. Da Mira allerdings Mann und Kinder hat, ist sie nicht bereit, auszusagen. Um sie doch zu überzeugen, muss Maynard ihre spröde und ruppige Art ablegen.
Was Regisseur Hans-Christian Schmid mit seinem ersten fast ausschließlich englischsprachigen Film erzählen will, ist eigentlich ein knallharter Thriller. Tatsächlich überzeugt "Sturm" aber am meisten mit seiner feinen Figurenzeichnung. Maynard ist eine verbitterte Idealistin, die genau weiß, dass sie inmitten von Wahrheitsfindung und Korruption als Spielball herhalten muss. Obwohl sie schon so oft zwischen Lobbyisten und Funktionären zerrieben wurde, wird es auch diesmal, wenn sie erkennt, erneut Opfer politischer Fallstricke geworden zu sein, ein weiterer kleiner Tod sein, den sie zu sterben hat. Der Zynismus, mit dem sie diesen Intrigen begegnet, ist nur Ausdruck ihrer grenzenlosen Enttäuschung. Kerry Fox schafft es, dieser nach außen zurückgenommenen Person sämtliche Facetten ihres Innenlebens zu entlocken.
Auf der anderen Seite steht Mira Arendt, die traumatisierte Augenzeugin, die sich widerborstig dagegen wehrt, von Maynard als Trumpf im Ärmel vereinnahmt zu werden. Natürlich möchte sie Duric hinter Gittern sehen, doch gleichzeitig weiß sie, wie hoch der Preis wäre, den sie dafür wahrscheinlich zu zahlen hätte.
Für die politischen Ränkespiele, die Schmids "Thriller" vorantreiben, hat der 44-Jährige akribisch recherchiert. Fast ein bisschen zu akribisch, denn die genaue Erläuterung sämtlicher Verwaltungsvorgänge, die ein Verfahren in Den Haag zu überwinden hat, lähmen den Film bisweilen ein wenig. Das Zentrum der Story allerdings, der Interessenskonflikt zweier vom Leben enttäuschter Frauen, ist großes Kino.
Wertung: Vier von fünf Punkten.