Theaterstück über Irmgard Keun in Düsseldorf gefeiert Das Schicksal einer vergessenen Autorin

DÜSSELDORF · Stenotypistin, Schauspielerin, Star-Autorin am Ende der Weimarer Republik und in der Nazizeit Künstlerin im New Yorker Exil. Rückkehr nach Deutschland in die junge Bundesrepublik, wo sie und ihr einst berühmter Roman „Das kunstseidene Mädchen“ in Vergessenheit geraten.

Das kunstseidene Mädchen nach dem Roman von Irmgard Keun – hier der Monolog mit Pauline Kästner.

Foto: Melanie Zanin

Enttäuscht beschimpft Irmgard Keun alte Nazis, die noch immer an Schalthebeln sitzen, öffentlich. Und verlangt deren Bestrafung. Eine unangepasste, emanzipierte Frau, die das 20. Jahrhundert und seine Brüche erlebt und gelebt hat.

Viele Leben hatte Irmgard Keun (1905-1982). Wie viele genau? Das ist unklar. Doch Lutz Hübner und Sarah Nemitz kommen auf fünf. Zumindest behauptet das Dramatiker-Duo (bekannt für „well made Storys“) dies in seinem neuen Stück „Die fünf Leben der Irmgard Keun“, das jetzt in Düsseldorf uraufgeführt wurde. Genauer: Auf der großen Schauspielhaus-Bühne, auf der Zuschauer in einem Kreisrund auf etwa 200 Drehstühlen sitzen und das seltsame Schwanken zwischen Szenen aus der Biografie der Künstlerin, Fiktion und persönlichen Traumsequenzen verfolgen.

Regiekniff von Mina Salehpour
und Andrea Wagner

Auf ewig kreisender Bühne hinter dem Eisernen Vorhang, der nur selten hochfährt und den Blick auf leere Zuschauerreihen freigibt. Ein Regiekniff von Mina Salehpour und Ausstatterin Andrea Wagner, der sich in pausenlosen knapp zwei Stunden abnutzt und ermüdet. Zumal meist nur die Köpfe der Mimen sichtbar werden und, durch das permanente Kreisen, die Darsteller ihren ständig wechselnden Rollen kaum zugeordnet werden können.

Das Theaterstück von Hübner/Nemitz führt in ein WDR-TV-Studio, in dem 1977 ein Regisseur und einige Darsteller, im Rahmen einer Dokuserie über Exil-Literaten, auch einen Beitrag über Irmgard Keun drehen sollen. Keun ist also Hauptdarstellerin in eigener Sache, die gleichzeitig das TV-Team beobachtet, verbessert, weil sie ihre Lebensstationen ja ‚besser kennt‘ als die Mimen (die sie darstellen sollen). Und sie kommentiert. Mit Spott, Witz und Häme – versprüht mit hintergründiger Ironie von Claudia Hübbecker, die den zwiespältigen, eigenwilligen Charakter der 70-jährigen Keun in allen Facetten nahebringt. In eleganter Pelzkappe, feinem Zwirn, Sonnenbrille und meist mit Zigarette, Sektglas oder Weinflasche bewaffnet. Denn Keun war Alkoholikerin und starke Raucherin, die auch am Dreh um Sekt bettelt und nach Zigaretten schnorrt.

Wie eine Diva thront die Bestseller-Autorin von einst (auch von „Gilgi, eine von uns“) im Studio und nörgelt unverblümt an der Sprache heutiger Fernsehmacher –„zu lange Sätze!“ schimpft sie und geißelt „zu viele Adjektive, die doch nur Krücken sein dürfen“. Wie das Regieteam die Dialoge umsetzt, mit historischer Wahrhaftigkeit umgeht, erinnert an History-Channel und Guido Knopp. Zumindest bekommt er satirisch sein Fett ab – der Geschichtslehrer der deutschen Fernsehnation, der immer neue Aspekte von Hitler und der NS-Geschichte familiengerecht beleuchtete, heißt es etwa.

So liegt, wie in den späten 1970er Jahren üblich, ein Schwerpunkt des Stücks auf der NS-Epoche – wie Keun auf der Flucht in Ostende mit ihrem Schriftstellerkollegen Joseph Roth eine Affäre begann, wie sie in den USA von einem Partylöwen Ardnold umworben wurde. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Nachkriegszeit – wie Irmgard Keun nach Köln zurückkehrte, im elterlichen Haus ihr Dasein fristete, in den 1960ern verarmte und in der Bonner Psychiatrie landete. Die zahlreichen Szenen berühren nur kurz die tiefen Einschnitte in ihrer Biografie – was sicher auch an der flächigen Inszenierung liegt. Von den dunklen und weniger bekannten Seiten der Irmgard Keun erfährt man wenig.

Wie häufig in den Dramen von Hübner/Nemitz tauchen einige dieser Szenen in Satire – manchmal auch eingefärbt in rheinisch-kölsches Lokalkolorit. So schiebt am Ende der Hausmeister Jupp die Drehbühne an. Doch die Dichterin ist nach ihrer Lebensodyssee erschöpft. Hat keine Kraft mehr für „das fünfte Leben“. Fazit: Ein biografisches Stück über eine vergessene Autorin der Weimarer Republik. Nach der Aufführung wird im Kombiticket eine szenische Lesung von Keuns Roman „Das kunstseidene Mädchen“ (90 Minuten) angeboten. Über die Stenotypistin Doris, die vom Glanz träumt und Filmstar werden will. Mit Pauline Kästner, die im Stück als junge Irmgard Keun auftritt.

Termine: 27. Jan., 5., 12., 23. Feb., 1. März. Tel.: 0211-36 99 11.