Ai Weiweis spektakuläre Ausstellung „Evidence“

Der chinesische Künstler Ai Weiwei schuf für Berlin eine spektakuläre Ausstellung.

Foto: Kay Nietfeld

Berlin. Es ist eine kleine Zelle — Bett, Stuhl, verdrecktes Waschbecken. 81 Tage wurde Chinas berühmtester Künstler Ai Weiwei hier in Isolationshaft gehalten. 24 Stunden grelles Licht, Beobachtungskamera bis ins Klo. Auf den Tag genau drei Jahre nach seiner Verschleppung zeigt der heute 56-jährige Konzeptkünstler in Berlin den originalgetreuen Nachbau der Zelle, seine Handschellen in Jade, die Kameras in Marmor.

Die mit Spannung erwartete Ausstellung von Ai Weiwei (56) im Martin-Gropius-Bau ist eine einzige große Anklage gegen Verfolgung, Unterdrückung und Menschenverachtung. Mit archaischer Wucht, oft aber auch poetischer Ironie zeigt der langjährige Regimekritiker, was das kommunistische System in seinen Augen mit den Menschen macht. „Ai Weiweis Werke sind wie eine Flaschenpost. Wir müssen die Botschaften lesen und entschlüsseln“, sagte Museumsdirektor Gereon Sievernich am mIttwoch vor der Eröffnung der Ausstellung Der Künstler selbst hat sie „Evidence“ genannt — der Beweis. „Ich will die Wahrheit beweisen“, sagt er laut Sievernich.

Seit zwei Jahren hat Sievernich bei Besuchen in Peking mit Ai Weiwei dessen weltweit bisher größte Schau konzipiert. Viele Arbeiten schuf der Künstler eigens für Berlin, allen voran die spektakuläre Installation „Stools“ im Lichthof des Museums. Dicht an dicht sind hier 6000 antike Hocker aus der Ming- und Qing-Dynastie aufgereiht. Sie sollen den rücksichtslosen Umgang mit der Vergangenheit in China symbolisieren.

Auf 3000 Quadratmetern in 18 Sälen sind die von Ai bis ins kleinste Detail geplanten Raumbilder aufgebaut: antike Vasen, die er als Sinnbild für den grassierenden Konsumwahn mit Autolack überzieht. Eine Maske gegen den Großstadtsmog, die aus einem Marmorblock auf einen Grabstein gemeißelt ist.

Besonders bedrückend ist der Werkkreis von Arbeiten, in denen sich der Künstler mit dem verheerenden Erdbeben von Sichuan im Jahr 2008 auseinandersetzt. Fast 70 000 Menschen wurden dort getötet. Ai Weiwei macht die Behörden für die maroden Schulbauten verantwortlich, die tausende Kinder unter sich begruben. Aus den Trümmern barg er tonnenweise verrostete Armierungseisen, die jetzt als skelettartige Möbel oder nachgebildete Marmorskulpturen zu sehen sind. In einem Video laufen 5200 Namen von Kindern, die Ai mit einer Initiative als Opfer identifizieren konnte.

Ai Weiwei, der China nicht verlassen darf, hofft bis zuletzt, seine eigene Schau noch sehen zu können. Den Wunsch äußerte er am Mittwoch in einer Videobotschaft. Anzeichen für ein Umdenken in Peking gibt es aber nicht.