Ausstellung zur deutsch-deutschen Sportgeschichte: Wir gegen uns

Im Bonner Haus der Geschichte dokumentiert eine Ausstellung den Spitzensport im geteilten Deutschland. Eine Spurensuche – faszinierend und schockierend.

Bonn. In einem Spind hängen die Flossen von Axel Mitbauer. 1969 schwamm der Meisterschwimmer aus Leipzig 22Kilometer durch die eiskalte Ostsee in den Westen. In die Freiheit, wie es die Politik der Bundesrepublik Deutschland Ende der 1960er Jahre formulierte. Mitbauer floh am 18.August 1969 aus der Deutschen Demokratischen Republik: Am Strand von Boltenhagen, dem westlichsten Badeort der DDR, lief er in der Morgendämmerung ins Wasser, als die Grenzposten die riesigen Leuchtscheinwerfer, wie jede Stunde, zur Kühlung eine Minute abstellten.

Im Spind daneben liest man ein mit der Schreibmaschine gehämmertes Pamphlet, in dem der Deutsche Turn- und Sportbund (DTSB) der DDR, gelenkt und überwacht vom Ministerium für Staatssicherheit, in dürren Zeilen Anfang der 1970er Jahre Wolfgang Lötzsch mitteilt, dass er nicht mehr der DDR-Nationalmannschaft angehört. "Ausdelegiert", von einem Tag auf den anderen.

Lötzsch galt damals als der alles überragende Radrennfahrer der DDR. Ihm wurde wenige Wochen vor den Olympischen Spielen 1972 in München zum Verhängnis, dass er den Eintritt in die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) verweigerte. Auf Lötzsch waren in der DDR mehr als 50 Spitzel der Staatssicherheit angesetzt - kein Schritt blieb ohne Registrierung.

"Wir gegen uns" heißt die Ausstellung im Bonner Haus der Geschichte, die den Sport im geteilten Deutschland thematisiert. Als sie in Leipzig eröffnet wurde, sagte Lötzsch, dass sich bis heute keiner seiner Peiniger bei ihm entschuldigt habe. Gustav Adolf "Täve" Schur, zweimaliger Weltmeister und Gewinner der "Friedensfahrt", wurde in der DDR zum Helden der Arbeit, zum Idol, weil er sich vorbehaltlos zu DDR und SED bekannte. Über Lötzsch verlor niemand ein Wort.

Lutz Eigendorf vom BFC Dynamo, der sich 1979 im Anschluss an ein Europapokalspiel seines Klubs beim 1.FC Kaiserslautern von seiner Mannschaft absetzte, starb am 5.März 1983 unter ungeklärten Umständen bei einem Autounfall - der bis heute als von der Staatssicherheit inszeniert gilt.

Zwei Agenten schleuste die DDR-Bürokratie in den Westen, um den Fußballer Tag und Nacht zu überwachen, vier Spitzel der Stasi lieferten alle Details des "Sportverräters" aus dem Operationsgebiet, wie die Bundesrepublik im Jargon des Ministeriums für Staatssicherheit hieß.

"So wie der Soldat der DDR, der an der Staatsgrenze seinem imperialistischen Feind der Nato-Bundeswehr gegenübersteht, so muss der DDR-Sportler in dem Sportler der BRD seinen politischen Gegner sehen. Unser Kampf ist so hart, dass er mit voller Abgrenzung, mit Hass gegen den Imperialismus und seine Abgesandten, auch gegen die Sportler der BRD, geführt werden muss." So lautete der Beschluss des Politbüros der SED von 1968 zur Vorbereitung der Athleten auf die Olympischen Spiele in München. Der Sport war längst ein Schlachtfeld im Kampf der Systeme.

Aus heutiger Sicht wirkt es fast rührend, wie Eiskunstläuferin Katarina Witt ("Das schönste Gesicht des Sozialismus"), Skispringer Jens Weißflog oder Weitspringerin Heike Drechsler im Blauhemd der Freien Deutschen Jugend (FDJ) vor der Volkskammer der DDR für die Unterstützung durch den Arbeiter- und Bauernstaat danken.

Ihre olympischen Medaillen widmen sie den Werktätigen zum Ruhme des Sozialismus. In Wirklichkeit mehrten sie nur den Ruhm der politischen Klasse der DDR, die, Walter Ulbricht folgend, schon früh die Massenwirksamkeit des Sports erkannt hatte.

Nahe des Eingangs zur Ausstellung schleudert Ulbricht den Besuchern sein "Sport frei" entgegen, gesprochen vor 100000 Zuschauern im Zentralstadion in Leipzig zur Eröffnung des Deutschen Turn- und Sportfestes der DDR im August 1956. "Der Sport ist nicht Selbstzweck. Er ist Mittel zum Zweck", sagte Erich Honecker.

Schon 1964 leitete die Sportführung der DDR die anabole Phase im Leistungssport ein. Zugleich forcierte sie die weltweit einzigartige Suche nach geeigneten Präparaten zur Leistungssteigerung, die unter dem berühmt-berüchtigten "Staatsplanthema 14.25" vom Zentralkomitee der SED 1974 aktenkundig wurde.

Zu den Aufgaben zählte die Erprobung "unterstützender Mittel", verabreicht unter Leitung des Forschungsinstituts für Körperkultur und Sport (FKS) in Leipzig. In kargem Weiß präsentiert sich in Bonn das "Arztzimmer", in dem der international renommierte Sportmediziner Manfred Höppner die Sport-Elite "behandelte".

Die Ausstellung zeigt aber auch das legendäre Tor von Jürgen Sparwasser zum 1:0 der DDR gegen die BRD bei der Fußball-WM 1974 in Hamburg, den Zieleinlauf von Heide Rosendahl und Renate Stecher bei den Olympischen Spielen in München - Ereignisse, die sinnbildlich für die deutsch-deutsche Sportgeschichte stehen, für den deutsch-deutschen Wettstreit der Systeme.

1964 sagte Karl-Eduard von Schnitzler, Chefkommentator des DDR-Fernsehens, in seiner beißenden Kritik an der gesamtdeutschen Olympiamannschaft von Tokio: "Die gemeinsame Mannschaft steht im herben Widerspruch zur Vernunft und zur Wirklichkeit. Vernünftig und realistisch wären drei Olympische Komitees in Deutschland, eines der DDR, eines Westdeutschlands und ein Westberliner - und getrennte Olympiamannschaften."

1989 fällt die Mauer, 1992 bei Olympia in Albertville und Barcelona werden die vereinigten Deutschen in Ost und West bejubelt. Schnitzler spielt da längst keine Rolle mehr. Das "Sportwunderland DDR" ist Geschichte und Axel Mitbauer Schwimmtrainer in Österreich.