Kunst-Skandal: Die Kreuzigung der Frau
Der Skandal-Künstler Maurizio Cattelan hat an der Pfarrkirche in Stommeln ein provokantes Werk angebracht.
Stommeln. Wer den italienischen Starkünstler Maurizio Cattelan zu einer Ausstellung einlädt, muss sich auf etwas gefasst machen. Schließlich eilt Cattelan seit gut einem Jahrzehnt der Ruf des skandalträchtigen "Aufregers" voraus.
Zu den bekanntesten Werken des 47-Jährigen zählen der von einem Meteoriten brutal zu Fall gebrachte Papst Johannes Paul II. und ein zum Gebet in die Knie gegangener Adolf Hitler.
In Pulheim, wo Cattelan jetzt ein Werk für die weithin beachtete Ausstellungsreihe in der ehemaligen Synagoge Stommeln schuf, regte sich aber zunächst der Künstler auf - verkehrte Welt.
Noch am Tag vor der offiziellen Eröffnung gestern war es zeitweise unklar, ob es technisch noch rechtzeitig zu machen ist, das vom Künstler für Stommeln ersonnene Werk ordentlich zu installieren: die Kreuzigung einer Frau.
Seit gestern ist am nördlichen Seitenschiff der katholischen Kirche Alt Sankt Martinus Cattelans "zeitgenössische Kreuzigung" zu sehen: Die - in der charakteristisch hyperrealistischen Handschrift des Künstlers gestaltete - "verkehrt" herum ans Kreuz geschlagene Frauenfigur, die dem Betrachter den Rücken zukehrt.
Die Frau hat ordentlich zum Zopf gebundenes rötlich-braunes Haar, trägt ein kurzes, büßertaugliches Hemdchen. An den Händen und Füßen sowie der Hüfte knebeln sie martialische Fesseln. Derart ergeben liegt sie in einer Kiste, die ebenso bergender Sarg wie lustvolle Bettstatt und steriler Ort klinischer Psychiatrie zu sein scheint, auf dem Bauch.
Mit dem Projekt ist neben dem früheren jüdischen Bethaus dieses Mal auch erstmals die nahe gelegene christliche Kirche Schauplatz des "Projektes Synagoge Stommeln".
Die technische Vorbereitung stellte die Beteiligten vor Herausforderungen, weil es eben nicht ganz einfach ist, mal eben so eine 300 Kilo schwere, große Holzkiste mit fragilem Inhalt in etwa vier Meter Höhe zu hieven, um sie dort an der Backsteinwand festzuschrauben. Ein Organisationsproblem, das - wie der als wortkarg geltende Künstler offiziell kommentierte - keine Verärgerung bei ihm hervorrief. Im Gegenteil: Er sei "außerordentlich zufrieden".
Tod ist das große Thema im visuell stets eindringlichen wie hintergründigen Werk Cattelans. Seine Arbeit für das diesjährige Stommelner Synagogenprojekt, dessen zweiter Teil im ehemaligen Bethaus selbst aus einem Paar alter Schuhe mit heraussprießenden Pflanzen besteht, will Fragen aufwerfen - nach Werten, auch denen der großen Religionen. Zum Beispiel: Hoffnung, Vergebung, Liebe.
Vor allem aber fragt Cattelan nach dem Scheitern jeglicher Ethik. Die sei nämlich reine Theorie, erklärt ein Mitarbeiter als Sprecher des Künstlers, der selbst nie etwas über seine Werke sagt. Soll heißen: "Ethik ist eine Frage der Literatur und der Kultur, keine der Realität". Weiter: "Schließlich leben wir in keiner guten Welt."
Cattelan, der auch schon mal seinen Galeristen mit Klebeband an eine Wand fesselte, ist der 18. Künstler in der Ausstellungsreihe der Stadt Pulheim mit prominenten Künstlern am ungewöhnlichen Ausstellungsort. Hierzu gehörten Richard Serra, Rosemarie Trockel, Lawrence Weiner und Richard Long.
Weltweites Aufsehen erregt hatte das Kunstprojekt mit der Arbeit Santiago Sierras - der Einleitung von Autoabgasen in die ehemalige Synagoge, die als Ausstellungsort auch der Erinnerung dient.