Kunst von Gerhard Richter: Holzbrett als Wunderwaffe
Doppelausstellung: Gleich zwei Museen reißen sich um die neuen, überraschenden Bilder des Malers Gerhard Richter.
Köln/Leverkusen. Gerhard Richter erhält im Museum Morsbroich in Leverkusen die erste Retrospektive seiner kleinformatigen Foto-Übermalungen. Eine zauberhafte Kabinett-Ausstellung. Ein paar Autobahn-Kilometer davon entfernt schlägt er im Kölner Museum Ludwig auf die Pauke und präsentiert große, abstrakte Gemälde, die er zu dramatischen Farb-Ereignissen auflädt. In beiden Fällen spielt der Rakel, ein etwa 1,50 Meter langes Brett, eine große Rolle.
Seit 1986 hantiert er mit diesem Instrument anstelle des Pinsels, trägt zunächst Ölfarbe auf die Leinwand auf und schiebt sie im noch feuchten Zustand mit dem Brett hin und her, türmt sie auf, glättet sie, reißt leichte Krater in die zähe Paste und spielt im wahrsten Sinn mit der Materie. "Das sieht sehr gut aus, zwischen den gewollten und den übrig gebliebenen Farben", erklärt Richter.
Im Museum Ludwig hängen grandiose Großformate, Serien wie "Bach", "Cage" oder "Wald". "Bach" ist von 1992 und hat einen wunderbaren Farbklang zwischen Grün, Rot und Blau. In vier Variationen spielt er das Thema durch, und es ist, als hätten die Bilder die Musik des großen Klassikers in sich aufgenommen. "Cage" dagegen wirkt fast schon verkrustet, versiegelt, wäre nicht der Rakel, der der Farbmasse neue Schübe versetzt, so dass Bewegung und Gegenbewegung in die Bilder kommt.
Sehr aufgeladen, dramatisch, glutvoll können derlei Abstraktionen sein. Manches erinnert an Jackson Pollock, wenn Richter 1989 die Schichten wachsen lässt, bis ihre Farbe aufplatzt und Blau und Glutrot aufspringen. Von weitem meint man, einen dramatischen Monet vor sich zu sehen.
Kaum hatte der Kurator Ulrich Wilmes die Bilder gehängt und mit Neonröhren ins rechte Licht gesetzt, da schleppte Richter auch schon die nächsten malerischen Kostbarkeiten namens "Sindbad" an. Der ständige Experimentator hatte Farben auf Glasplatten geschüttet, sich die schönsten Stellen ausgesucht und im Abklatsch-Verfahren kleinere Glasplatten aufgelegt. Nun schaut die Serie knackig frisch, ungefiltert bunt, geradezu lecker aus. 200 Arbeiten dieser Art hätte er gerade gemacht, sagt Richter.
Doch derlei Überraschungen sind noch nicht genug. Im Schloss Morsbroich hängen 500 übermalte Fotos der letzten 20 Jahre. Es handelt sich in der Regel um Postkartenformate. Der Ausgangspunkt sind Schnappschüsse von Spaziergängen, Reisen, dem Urlaub in den Bergen etc. Mal taucht Ehefrau Sabine auf, wie sie den kleinen Sohn Moritz wickelt. Doch dann kommt die Lust an der Verwandlung, an der Zerstörung, dem Wiederaufbau hinzu. Die Aufnahmen sammelt er zunächst in einer Kiste, fischt daraus nach Lust und Laune Farbabzüge und beschichtet sie mit jenen Ölfarbresten, die von der Herstellung großer Bilder übrig bleiben.
Was diese übermalten Fotos auszeichnet, ist ein fantastischer Dialog zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Zwei Realitäten treffen aufeinander, die Flächigkeit des Fotos und die illusionistische Tiefe der Malerei. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit sind diese Bilder entstanden. In Reih und Glied gerückt wirken sie witzig, lustig, persiflierend. Ein bloßes Weiß und Rosarot wirkt als Farbklecks im Park wie eine Gruppe von Pinguinen im Zoo.