Kunstausstellung: Aus den Fugen geratene Welt

Dem deutschen Maler Georg Baselitz wird als erstem Deutschen eine umfangreiche Retrospektive in der Royal Academy of Arts zuteil. Die britische Presse nennt ihn einen „Metzger-Maler“.

<strong>London. Die Royal Academy steht Kopf und schuld ist Georg Baselitz: Heute öffnet eine große Retrospektive zu Ehren des Malers, dessen auffälligstes Markenzeichen die umgedrehten Bildmotive sind. Baselitz ist der erste lebende deutsche Künstler, für den das renommierte Museum eine Einzelausstellung ausrichtet. Unbeugsam wie eh und je, freut sich der fast 70-Jährige über die "provozierende" Schau, die das Beste seines obszönen, gewollt hässlichen Lebenswerks versammelt. Nur scheinbar hat die Zeit den einst revolutionären Baselitz eingeholt: Im Berlin der Sechziger Jahre haben seine Bilder noch moralische Entrüstung und damit die Polizei auf den Plan gerufen, die seine sexuell aufgeladenen Großformate konfiszierte. Heute, mit der Nacktheit als Massenware, ist Georg Baselitz längst ein moderner Klassiker, und man möchte meinen, dass sich seine Schockkraft abnutzt. Wer seine Retrospektive besucht, der tut dies mit höflich-milden Erwartungen - und wird gleich am Eingang mit dem Hitlergruß empfangen. Oh, denkt man etwas bang angesichts der salutierenden Holzskulptur, wie werden das wohl die Briten finden? "Hinter Baselitz’ grandioser Arbeit steckt die Geschichte und Kulturgeschichte Deutschlands", preist ihn Kurator Norman Rosenthal. Mit 60 Werken aus Museen in ganz Europa zeichnet er den Werdegang des Künstlers nach. Der Horror des Zweiten Weltkrieges und die Frage nach dem Deutschsein haben Baselitz immer beschäftigt, doch nirgendwo wird sein Leitmotiv und die Kraft seiner Gedankenwelt so schmerzhaft deutlich wie in der dichten Retrospektive.

Der Maler der verstümmelten und versehrten Gliedmaßen

Einen Vorgeschmack auf seine schiere Besessenheit von diesen Themen bietet bereits die Eingangshalle mit der amputierten Hitler-Skulptur und anderen "Helden": Soldaten nach der Niederlage. Unter dem Titel "Ein neuer Typ" malte er zerlumpte, beschädigte Frontheimkehrer. Rosenthal nennt sie "noble, tragische und unvermeidliche Bilder." Er rede mit seiner Frau auch heute immer noch jeden Tag über den Krieg, sagte Baselitz letztens in London, als seine Werke allmählich aus den verschiedensten europäischen Metropolen für die Retrospektive eintrafen.

Baselitz kann sich gut an die Zerstörung der Stadt erinnern. Krieg und Verzweiflung, die Unmenschlichkeit der frühen Jahre zeigt auch sein Zyklus "Füße", in dem er furchtbar verrenkte und versehrte Gliedmaßen porträtiert. Eine britische Tageszeitung attestiert dem "Metzger-Maler" daher auch "brutale Brillanz".

Werdegang geboren am 23. Januar 1938 in Deutschbaselitz (sorbisch Nmske Pazlicy), 1956 Studium der Malerei an der Ost-Berliner Hochschule in Berlin-Weißensee. 1958 Umzug nach West-Berlin, Studium bei Hann Trier, ab 1961 "Georg Baselitz".